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Zürich - Schweiz

Südstarts geradeaus
Keine Südstarts geradeaus

Abheben mit Kerosin aus Windstrom

NZZ 8.11.2019

Synthetische Treibstoffe gelten als einziger Weg für die Luftfahrt, um die strengen Klimaziele zu erreichen. Doch noch gibt es viele Hürden.

Wer mit dem Auto an die deutsche Nordseeküste fährt, etwa nach Sylt, erblickt irgendwo hinter Hamburg, kurz vor der Kleinstadt Heide in Schleswig-Holstein, schon von weitem die riesige Raffinerie. Dutzende Schornsteine ragen in den Himmel, neben dickbauchigen Öltanks. Eine Augenweide ist das wahrlich nicht – aber seit kurzem liegt in der Raffinerie Heide vielleicht der Schlüssel für den Aufbruch in die Zukunft der Luftfahrt.

Denn klar ist, dass der Luftverkehr nachhaltiger werden muss, um die strengen Klimaziele zu erreichen und ab Mitte der 2030er Jahre den CO2-Ausstoss sogar zu senken. Rund 2,5% der weltweiten Kohlendioxidemissionen werden Flugzeugen angelastet, aufgrund stetigen Wachstums werden es bis 2030 schon rund 3,5% sein.

Das Problem lässt sich nur mit synthetisch erzeugtem und CO2-neutralem Treibstoff lösen. Denn selbst langfristig wird es zu brennstoffbetriebenen Triebwerken keine Alternative geben, zumindest nicht für Langstreckenflüge. Elektroantriebe und möglicherweise Brennstoffzellen könnten in den nächsten Jahren schon marktreif sein, aber nur für regionale Flüge auf Kurzstrecken mit Flugzeugen bis zu maximal 50 Sitzen.

Nah bei riesigen Windrädern

Also steht die Suche nach synthetisch erzeugten Treibstoffen derzeit im Fokus. Genau darum kümmert man sich jetzt in Heide – neben der Raffinerie sind auch die Lufthansa und der nur eine Autostunde entfernte Flughafen Hamburg in das Projekt eingebunden.

Die Nähe zum Abnehmer, sprich zu Flugzeugen der Lufthansa, ist dabei ein wichtiger Standortfaktor. Fast noch wichtiger ist aber die Tatsache, dass sich hier in Schleswig-Holstein Hunderte riesiger Windräder drehen. Diese liefern oft so viel Energie, dass die Stromnetze sie gar nicht aufnehmen können und die Windräder daher manchmal stillstehen müssen, auch wenn der Wind hier meist ordentlich bläst.

Mit dieser Energie soll nun unter der Leitung des Advanced Energy Systems Institute der Universität Bremen synthetischer und nachhaltiger Flugzeugtreibstoff gewonnen werden, genannt KEROSyN100. Dabei setzt man auf die sogenannte Methanol-to-Synfuels-Synthese. Aus Wasserstoff und Kohlendioxid wird zunächst giftiger Methanol-Alkohol hergestellt und dann in Kerosin umgewandelt. Über Zwischenprodukte entstehen daraus langkettige Kohlenwasserstoffe, durch Hydrierung schliesslich flüssige Treibstoffe wie eben auch Kerosin.

«Das muss man sich ein wenig wie einen Chemiebaukasten vorstellen», sagt der Raffinerie-Chef Jürgen Wollschläger. «Mit dem Windstrom zerlegen wir Wasser in seine Bestandteile Wasserstoff und Sauerstoff. Dann nehme ich den Wasserstoff und CO2 aus der Luft und baue das wieder zusammen. Damit haben wir Kohlenwasserstoff und damit Kerosyn.»

Derzeit laufen die Planungen für den Aufbau einer Pilotanlage für synthetischen Flugzeugtreibstoff in Heide, wo heute schon 4,5 Millionen Tonnen Rohöl jährlich verarbeitet und 350 000 Tonnen Kerosin zum Hamburger Flughafen gebracht werden. «In fünf Jahren wollen wir 5 Prozent des insgesamt in Hamburg benötigten Flugzeugtreibstoffs synthetisch herstellen», so der Raffinerie-Chef.

Aber die Heider sind nicht die Einzigen in Norddeutschland, die die reichlich vorhandene Windkraft für nachhaltigeres Fliegen nutzen wollen.

Von Hamburg aus südlich der Elbe, in Stade, will ein Konsortium aktiv werden, unter anderem bestehend aus dem Institut für Umwelttechnik und Energiewirtschaft der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH), zu dem auch Airbus und der Chemiekonzern Dow gehören.

Bis 2022 soll hier eine Anlage entstehen, die jährlich 5000 Tonnen Biokerosin produziert. Hier wird die bereits 1925 entwickelte Fischer-Tropsch-Methode genutzt, die Synthesegas, eine Mischung aus Wasserstoff und Kohlenmonoxid, in flüssige Treibstoffe umwandelt.

Wasserstoff fällt in Stade heute schon an, als Nebenprodukt in einer Gross-Elektrolyseanlage, mit der Dow Chlor produziert. Es wurde bisher teilweise verheizt, doch die Wertschöpfung durch Umwandlung in Kerosin ist wesentlich grösser. Das zudem benötigte Kohlendioxid könnte aus Abgasen des Dow-Heizkraftwerks oder einer nahe gelegenen Müllverbrennung ebenso gewonnen werden wie direkt aus der Luft, wo es allerdings nur in Spuren von 0,04 Volumenprozent enthalten ist.

Dazu hat das Zürcher Unternehmen Climeworks, eine Ausgründung der ETH, ein weltweit führendes Verfahren entwickelt, um CO2 direkt aus der Umgebungsluft zu filtern. Diese Methode allerdings ist den zuständigen Wissenschaftern der TUHH bisher noch zu teuer für ihr Projekt. 5000 Tonnen synthetisches Kerosin pro Jahr auf diese Weise zu generieren, ist das Ziel in Stade.

Allerdings sind heute für die Erzeugung einer Kilowattstunde synthetischen, strombasierten Treibstoffs nach dem sogenannten «Power-to-Liquid»-Verfahren noch 2 Kilowattstunden Strom nötig, die Hälfte geht verloren. Aber ein ausschliesslich damit fliegendes Flugzeug wäre CO2-neutral unterwegs, weil es nur vorher der Atmosphäre entzogenes CO2 wieder emittiert.

So weit ist es allerdings noch lange nicht, und so weit wird es ziemlich sicher auch nie kommen, denn die produzierten Mengen reichen niemals aus. 2018 wurden weltweit rund 15 Millionen Liter Luftfahrt-Biokerosin hergestellt – nicht einmal 0,1% der insgesamt in der Fliegerei benötigten Treibstoffmenge. Auch das in Heide und Stade erzeugte synthetische Kerosin soll auf dem Hamburger Flughafen lediglich den herkömmlichen Brennstoffen als sogenanntes Drop-in-Fuel beigemischt werden.

Bis zu fünfmal so teuer

Die alternativen Kraftstoffe können problemlos dem üblichen fossilen Treibstoff zugesetzt werden und verbrennen normal in den bisherigen Motoren.

Die Luftfahrt hat bereits seit 2008 ausgiebige Experimente mit beigemischtem Biokerosin durchgeführt, meist aus Biomasse erzeugt. Auf mehr als 150 000 Flügen ist dies bereits anteilig in den Tanks gewesen. Derzeit gibt es nur auf fünf Flughäfen weltweit regulär beigemischten Biosprit zu tanken – drei davon liegen in Skandinavien, in Oslo, Bergen und Stockholm, ausserdem in Brisbane und Los Angeles. So tankt die Fluggesellschaft KLM auf ihren täglichen Flügen von Los Angeles nach Amsterdam einen Anteil Biokerosin.

Das Hauptproblem ist derzeit, dass bei den zurzeit günstigen Ölpreisen synthetischer und Biotreibstoff bis zu fünfmal so teuer ist wie Kerosin, hier wären entsprechende Vorgaben der Politik nötig, etwa Subventionen.