Südanflug NEIN!

Zürich - Schweiz

Südstarts geradeaus
Keine Südstarts geradeaus

Ein Grossteil der Privatflieger soll der Klimaabgabe entgehen

TA 06.09.2020

Während Autofahrer und Passagiere von Linienflügen zur Kasse gebeten werden, wollen Ständeräte leichte Businessjets und Sportflugzeuge von der Umweltabgabe befreien.

Fliegen schadet dem Klima und soll deshalb teurer werden. Nach den Plänen des Parlaments sollen die Passagiere von Linien- und Charterflügen künftig zwischen 30 und 120 Franken extra bezahlen müssen, je nach Reisedistanz und Klasse.

Zwar wollen die Politiker im Grundsatz auch die Privatfliegerei für ihren CO2-Ausstoss zur Kasse bitten. Der Nationalrat sieht 500 bis 5000 Franken pro Abflug vor. Die Sport- und Hobbyfliegerei, die das Gros der Privatfliegerei ausmacht, will er von der Umweltabgabe aber ausnehmen. Konkret: all jene Flugzeuge, die leichter als 5700 Kilogramm sind. Damit wären letztes Jahr rund 230’000 Abflüge von den verschärften Klimaschutzmassnahmen nicht tangiert gewesen, wie aus einem Dokument des Bundesamts für Umwelt (Bafu) hervorgeht.

Pilatus’ Schreiben an die Ständeräte

Nun ist eine weitere Ausnahme geplant. Die vorberatende Umweltkommission des Ständerats schlägt vor, die Untergrenze für eine Abgabebefreiung auf 8618 Kilogramm anzuheben. Es ist einer von mehreren Punkten, die der Ständerat heute Montag im Rahmen der Differenzbereinigung zum CO2-Gesetz debattieren wird. Statt 18’300 Abflüge pro Jahr wären so noch 14’300 bis 15’300 von der Abgabe betroffen. Das Bafu schätzt, dass mit dieser Lösung statt mindestens 9 Millionen Franken pro Jahr nur etwa 7 bis 7,5 Millionen zusammenkämen. Die Hälfte davon, so der Plan, flösse in den Klimafonds, die andere würde zurückverteilt – ob an die Wirtschaft und Haushalte gleichermassen, ist noch offen.

Sicher ist dagegen: Von einer höheren Untergrenze würde der Schweizer Flugzeugbauer Pilatus profitieren. Sein Businessjet PC-24, gemäss Eigenbeschrieb ein «besonders energieeffizientes Flugzeug», ist beim Abflug maximal 8300 Kilogramm schwer; er wäre also von der Abgabe befreit. Dies geht aus einem Schreiben hervor, das Pilatus vor der entscheidenden Sitzung Mitte August an die Ständeräte der Umweltkommission geschickt hat. Der Brief, der vom 13. August datiert, liegt dieser Zeitung vor. Pilatus warnt darin, eine Grenze bei 5700 Kilogramm würde die Absatzchance für den PC-24 «beeinträchtigen», der Flugzeugbauer sähe seine Konkurrenzfähigkeit «vermindert». Die Warnung hat offenbar verfangen. In der Kommission war das Geschäft jedoch höchst umstritten. Kritiker sprechen von einer «Lex Pilatus». Um ihr zum Durchbruch zu verhelfen, brauchte es den Stichentscheid von Präsident Martin Schmid (FDP).

CVP-Politiker wehrt sich

Insbesondere Pirmin Bischof hat dem Vernehmen nach auf diese Lösung gedrängt. Ein Mandat bei Pilatus oder – allgemeiner – in der Luftfahrtindustrie weist das Interessenregister des Bundes für den Solothurner CVP-Ständerat nicht aus. Bischof erklärt auf Anfrage, er habe mit Pilatus keinen Kontakt in dieser Frage gehabt. Die Anhebung auf 8618 Kilogramm habe denn auch «nicht viel mit Pilatus zu tun». Die amerikanischen und europäischen Zertifizierungsbehörden würden diese Grenze brauchen, um Flugzeuge mit 19 oder weniger Passagiersitzen gegenüber grossen Transportflugzeugen abzugrenzen. Die internationale Untergrenze von 8618 Kilogramm müsse natürlich auch für die Schweiz gelten, so Bischof. Bei den 5700 Kilogramm handle es sich um einen veralteten Wert.

Dem ist jedoch nicht so. Wie das Bafu auf Anfrage bestätigt, braucht die internationale Zivilluftfahrtorganisation Icao diese Grenze, um kleine und grosse Luftfahrzeuge zu unterscheiden. Diese Grösse liegt auch dem mit der EU verknüpften Emissionshandel zugrunde, ist also auch klimapolitisch relevant.

Abgabe stark senken

CVP-Politiker treiben nicht nur die «Lex Pilatus» voran. Mit seinen Parteikollegen Daniel Fässler und Beat Rieder gehört Bischof auch zu jenen bürgerlichen Standesherren, welche die Abgabe bei Privatjets bei 500 Franken fixieren wollen. Die CVP-Politiker sind hier allerdings in Unterzahl. Die Mehrheit der vorberatenden Ständeratskommission fordert wie der Nationalrat eine Bandbreite, die von 500 bis 5000 Franken reicht. Das Verhalten der CVP-Ständeräte dürfte in der Partei zu reden geben. Die Wahlstudie Selects zeigt: Die Umwelt war bei den CVP-Wählern 2019 – nebst der Sozialpolitik – das Topthema schlechthin.

Klimaschutz: So geht es weiter

Heute Montag startet die Differenzbereinigung zum neuen CO2-Gesetz, das die Klimapolitik der Schweiz bis 2030 festlegt. Die Schweiz soll damit einen Beitrag leisten, den Anstieg der durchschnittlichen Temperatur auf der Erde deutlich unter 2 Grad über dem vorindustriellen Niveau zu halten und Anstrengungen zu unternehmen, um den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen.

Am Zug ist nun der Ständerat. Dessen vorberatende Kommission folgt im Grossen und Ganzen der Linie, die der Nationalrat im Juni vorgegeben hat. Die wichtigsten Punkte:

Inlandziel

Die Schweiz soll ihren CO2-Ausstoss bis 2030 um 50 Prozent reduzieren, mindestens 75 Prozentpunkte davon mit Massnahmen im Inland. So hat es der Nationalrat beschlossen. Und so fordert es nun auch die vorberatende Kommission des Ständerats. Dieser Anteil sei kohärent mit der Ausgestaltung des Gesetzes. Eine Minderheit aus CVP-, FDP- und SVP-Politikern indes fordert, das Inlandziel sei auf 60 Prozentpunkte zu reduzieren; so lasse sich mehr Flexibilität bei der CO2-Reduktion bewahren.

Klimafonds

Die Kommission des Ständerats hat eine bedeutende Änderung beschlossen: CO2-Sanktionen, welche die Autoimporteure bezahlen müssen, sollen vollständig in die Bekämpfung von Klimaschäden fliessen. Der Nationalrat will nur die eine Hälfte dafür reservieren, die andere soll dem Nationalstrassen- und Agglomerationsverkehrs-Fonds zugutekommen.

Benzinpreis

Einig mit dem Nationalrat geht die Kommission bei den Treibstoffpreisen. Die Hersteller und Importeure fossiler Treibstoffe sollen neu einen grösseren Teil der CO2-Emissionen kompensieren müssen, dazu mehr im Inland. Das hat Folgen für den Benzin- und Dieselpreis. Das Parlament will den Aufschlag aber begrenzen: Bis 2024 soll die Kompensation den Liter Treibstoff um höchstens 10 Rappen verteuern dürfen, ab 2025 um bis zu 12 Rappen, also um 5 respektive 7 Rappen mehr als heute erlaubt.

Neuwagen

Die CO2-Zielwerte für neue Fahrzeuge sollen weiter verschärft werden, dies im Einklang mit der EU. Neu sollen ausserdem nicht nur für Autos, Lieferwagen und leichte Sattelschlepper Vorgaben erlassen werden, sondern auch für schwere Lastwagen. Importeure müssen zahlen, wenn ihre Neuwagenflotte über den Zielvorgaben liegt. Hier besteht zwischen dem Nationalrat und der Ständeratskommission Konsens.

Gebäude

Für Altbauten soll ab 2023 bei einem Heizungsersatz neu ein strenger CO2-Grenzwert gelten. Der Grenzwert verschärft sich automatisch alle fünf Jahre. Hausbesitzer könnten damit nur noch im Ausnahmefall eine neue Ölheizung einbauen – dann, wenn ihr Gebäude sehr gut isoliert ist. In Kantonen, die ihre Energiegesetze bereits verschärft haben, soll diese neue Regel erst ab 2026 greifen. Diese Lösung des Nationalrats unterstützt nun auch die vorberatende Kommission des Ständerats.

Fliegen

Auf Flugtickets soll eine Abgabe von mindestens 30 und höchstens 120 Franken erhoben werden, je nach Klasse und Reisedistanz. Belohnt werden jene, die wenig oder gar nicht fliegen: Gut die Hälfte der Einnahmen soll an die Haushalte und die Wirtschaft zurückerstattet werden, die andere Hälfte fliesst in einen neuen Klimafonds. Auch in diesem Punkt folgt die Ständeratskommission dem Nationalrat.

Das CO2-Gesetz hatte keinen guten Start. Im Dezember 2018 versenkte der Nationalrat die Vorlage – das war noch vor den weltweiten Klimaprotesten und den eidgenössischen Wahlen. Im Herbst 2019 hiess der Ständerat eine Vorlage gut, die gegenüber der bundesrätlichen Version leicht verschärft war. Diesen Juni schliesslich beugte sich der Nationalrat darüber und verabschiedete die Vorlage diesmal mit deutlichem Mehr. (sth)