In einem Interview mit dem Tages-Anzeiger skizziert Philipp Theisohn ein düsteres Szenario der Machtkonzentration durch KI – eines, das weit über technische Fragen hinausgeht und die Grundlagen unserer Demokratie bedroht.
Das Problem der kognitiven Erosion
Theisohn macht zunächst auf eine subtile, aber fundamentale Gefahr aufmerksam: Die ständige Verfügbarkeit von KI-Systemen untergräbt die Entwicklung eigenständigen Denkens. Studien des MIT Media Lab zeigen, dass regelmässige Nutzung von ChatGPT zu einer Verkümmerung von Hirnarealen führt, die wir nicht nur zum Schreiben, sondern auch zum Erinnern und für kreative Prozesse benötigen. KI simuliert Verständnis, während sie eigentlich nur Wahrscheinlichkeiten berechnet.
Das hat unmittelbare Konsequenzen: Studierende, die ihre Arbeiten durch KI erstellen lassen, durchlaufen keinen echten Erkenntnisprozess mehr. Sie verlieren die Erfahrung des Ringens mit dem Unverstandenen – jenes Element, das das menschliche Denken qualifiziert. Besonders besorgniserregend ist für Theisohn der systematische Fähigkeitsverlust ganzer Bevölkerungsschichten, der entstehen könnte, wenn grundlegende Kompetenzen nicht mehr erlernt werden – wie Lesen, Schreiben und eigenständiges Denken.
Die Asymmetrie der Macht
Das Kernproblem aber liegt nicht in der Technologie selbst, sondern in ihrer Kontrolle. Theisohn betont ein fundamentales Missverständnis: Alle Nutzer produzieren täglich Daten und Inhalte, die in KI-Systeme fliessen – freiwillig oder unfreiwillig. Diese Kollektivarbeit erzeugt ein Datenmonopol, das wenigen Konzernen gehört und von ihnen kontrolliert wird.
Der Unterschied zu früheren technologischen Umbrüchen ist entscheidend: Während wir alle bei der Wertschöpfung mitarbeiten, profitieren nur die Eigentümer von Meta, OpenAI, Google oder Palantir davon. Wir können nicht kontrollieren, was diese Systeme sagen oder nicht sagen, wer Zugang erhält oder blockiert wird.
Der autoritäre Horizont
Theisohn sieht hier die Konturen eines neuen Autoritarismus entstehen. Wenn KI in den Händen von Profitmaximierern bleibt, die ein offensichtliches Interesse an Deregulierung und dem Abbau von Demokratie haben, führt dies zu einer «maximalen, letztlich totalitären Kontrolle von Gesellschaften». Die enge Verflechtung zwischen Big-Tech-Führern und politischen Machtzentren – sichtbar gemacht durch Abendessen mit Trump, Biden und Obama – ist kein Zufall, sondern Ausdruck einer gemeinsamen Agenda.
Die kritischen Fragen
Theisohn fordert dazu auf, die richtigen Fragen zu stellen: Wer bestimmt, welche Information gezeigt wird? Wer definiert, welche Arbeitsplätze überflüssig sind? Wer regelt den Datenzugriff? Diese politischen Fragen können nicht der Marktlogik überlassen werden.
Der Professor betont dabei das Paradoxe: «Wer in KI investiert – egal auf welcher Ebene – ohne zugleich die Gesellschaftsfrage zu stellen, zahlt mittelfristig immer in Faschismus ein.» Das gilt auch für alle, die KI als blosse Effizienzsteigerung sehen und dabei die Machtverschiebungen ignorieren.
Ein Hoffnungsschimmer bleibt: Die aktuelle Transparenz macht den Willen zur Macht sichtbar. Der Schleier fällt – und das könnte der erste Schritt sein, um noch gegenzusteuern.
Quelle: TA 19.10.2025 – Philipp Theisohn im Interview