Südanflug NEIN!

Zürich - Schweiz

Südstarts geradeaus
Keine Südstarts geradeaus

Mit Bahnausbau den Fluglärm aufwiegen

NZZ 06.04.2008

Hans-Jürg Fehr, Nationalrat

Seit der Ablehnung des Staatsvertrags über die Regelung der An- und Abflüge im Flughafen Zürich durch das Schweizer Parlament herrschen ungemütliche Zustände. Ungemütlich für die neu massiv belärmten Anwohnerinnen und Anwohner des Flughafens, ungemütlich aber auch für die bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und der Schweiz.

Seit längerem führt der Bundesrat mit dem Bundesland Baden-Württemberg Gespräche über eine Paketlösung. Sie soll Verbesserungen für den Flughafen mit Angeboten zur Verbesserung von Infrastrukturen im wirtschaftlich unterentwickelten süddeutschen Raum nahe der Landesgrenze verknüpfen. Im Vordergrund standen bisher Strassenausbauten (Hochrhein-Autobahn A 98), gegen die aber auf Schweizer Seite mindestens so massiver Widerstand angekündigt ist wie es auf deutscher Seite Widerstand gegen eine Aufweichung des An- und Abflugregimes für Zürich-Kloten gibt. Im Zürcher Weinland arbeitet seit längerem eine überparteiliche Interessengemeinschaft gegen solche Strassenbaupläne, im Schaffhauser Klettgau hat sich kürzlich eine solche gebildet. Damit bewegt sich die Idee Paketlösung Strassenbau gegen Fluglärm in Richtung Sackgasse.

Für Abhilfe in dieser unbefriedigenden Situation kann nur ein Vorschlag sorgen, der beiden Ländern bzw. grenznahen Regionen klare Vorteile brächte; ein Vorschlag, der hüben und drüben mit Unterstützung statt Widerstand rechnen kann. Dieser Vorschlag heisst: Bahnausbau im grenznahen Raum als Kompensation für ein Anflugregime auf dem Flughafen Zürich, das demjenigen des vom deutschen Bundestag und dem Schweizer Bundesrat bereits einmal akzeptierten Staatsvertrags entspricht.

Die neue Paketlösung besteht aus fünf Elementen:

1. Die Gäubahn zwischen Singen und Stuttgart wird schrittweise so mit Doppelspurausbauten ertüchtigt, dass die Fahrzeit auf der internationalen Bahnstrecke Zürich-Stuttgart (HGV-Anschlussstrecke) um 15 Minuten verkürzt werden kann. In einer 1. Ausbauetappe übernimmt die Schweiz die Planungs- und Baukosten für eine Doppelspurinsel zwischen Horb und Neckarhausen (10 Mio Euro). Eine Beteiligung an den Kosten der weitere Ausbauschritte zwischen Rottweil und Riedheim (35 Mio Euro) wäre zu verhandeln. Der 1. Ausbauschritt auf deutscher Seite wird parallel zum bereits beschlossenen Doppelspurausbau auf Schweizer Seite so vorangetrieben, dass auf den Fahrplanwechsel von 2012 hin der Fahrzeitgewinn von 15 Minuten zwischen Zürich und Stuttgart realisiert werden kann.

Nachdem auf deutscher Seite der Ausbau der Bahnstrecke Singen-Stuttgart im Jahr 2003 in den Bundesverkehrswegeplan aufgenommen worden war, haben die parlamentarische Staatssekretärin Karin Roth und das Deutsche Bahn-Vorstandsmitglied Otto Wiesheu am 13. Februar 2008 dem CDU-Fraktionsvorsitzenden im deutschen Bundestag, Volker Kauder, die Zusage für den Ausbau der Gäubahn gegeben. Als erster Schritt ist die Wiederherstellung der Doppelspur zwischen Horb und Neckarhausen vorgesehen. Um Tempo in die Planung zu bringen, wollen die deutschen Anliegergemeinden die Vorfinanzierung der Planungskosten übernehmen oder sich zumindest namhaft daran beteiligen. Damit ist klar, dass der Ausbau der Gäubahn nicht nur wegen der Fahrzeitverkürzung zwischen Stuttgart und Zürich, sondern auch wegen der besseren Anbindung der deutschen Städte entlang der Bahn im Interesse des Landes Baden-Württemberg liegt.

Für die Beteiligung der Schweiz an den Ausbaukosten gibt es insofern schon ein Präjudiz, als sich sowohl die SBB als auch der Zürcher Verkehrsverbund und der Kanton Schaffhausen an den Kosten von Studien beteiligten, welche die Wirtschaftlichkeit des Ausbaus der Gäubahn bewiesen. Ein zweites Präjudiz schafft die Beteiligung der Schweiz an Investitionen auf französischem Gebiet (à fonds-perdu-Beiträge) und auf deutschem Territorium (Darlehen) im Zusammenhang mit dem Ausbau von Anschlusstrecken ans europäische Hochleistungs-Eisenbahnnetz (HGV-Gesetz).

2. Die von der Deutschen Bahn (DB) befahrene Bahnlinie Basel-Schaffhausen-Singen (Hochrheinbahn) wird so weit mit Doppelspurstrecken ausgebaut, dass ein durchgehender Halbstundentakt gefahren werden kann. Nach aktuellem Erkenntnisstand würde dafür ein neuer Doppelspurabschnitt auf Schaffhauser Gebiet zwischen Beringen und Erzingen genügen. Ein Vorprojekt existiert bereits und wurde von der „Deutsch-schweizerischen Kommission für die grenzüberschreitenden Eisenbahnstrecken“ (Eisenbahn-Kommission) in den Grundzügen gutgeheissen. Die Finanzierung (53 Mio Euro) ist gesichert. Der Kanton Schaffhausen treibt derzeit die Planung zur Beseitigung mehrerer Bahnübergänge voran, die der Einführung des Halbstundentaktes bisher noch im Weg stehen. Die notwendigen Kredite sollen dem Volk 2009 zur Abstimmung unterbreitet, die Bauarbeiten 2012 beendet werden.

Die Hochrheinbahn ist in verschiedener Hinsicht von grosser Bedeutung und weist ein beträchtliches Potenzial zur Nutzungssteigerung auf:

– Sie dient dem innerdeutschen Regionalverkehr;
– Sie dient dem grenzüberschreitenden Regionalverkehr;
– Sie dient dem schweizerischen Inter City Verkehr (schnellste Verbindung zwischen den Kantonshauptorten Basel und Schaffhausen);
– Sie stellt den Anschluss der Region Bodensee an das europäische HGV-Netz her.

3. Die Bahnlinie Basel-Schaffhausen (93km) wird elektrifiziert. Die Elektrifizierung ist primär aus Gründen der besseren Anbindung der Hochrheinbahn an andere Bahnlinien anzustreben, sie ist aber auch aus betrieblichen, wirtschaftlichen und ökologischen Gründen gegenüber dem bestehenden Dieselbetrieb im Vorteil. Die Elektrifizierung wird ungefähr 100 Millionen Franken kosten. Das Teilstück Schaffhausen-Erzingen (13 Mio.) ist bereits in dem vom Kanton Schaffhausen dem Bund unterbreiteten Agglomerations-Programm „Schaffhausen plus“ enthalten.

Da der Verkehrsvertrag von Baden-Württemberg mit der DB für den Betrieb der Hochrheinstrecke Basel-Singen 2016 ausläuft, wird die Linie dann neu ausgeschrieben, d.h. dem Wettbewerb geöffnet. Nach den guten Erfahrungen, die Baden-Württemberg mit dem von den SBB betriebenen „Seehas“ in der Region Konstanz macht, könnte die SBB auch die Hochrheinbahn übernehmen.

4. Die Fahrausweise der SBB (GA und Halbtax-Abo) gelten neu auch auf der Bahnlinie Basel-Schaffhausen-Singen. Es liegen bereits entsprechende Absichtserklärungen bzw. Willensbekundungen der Kantone Basel-Stadt und Schaffhausen sowie des Bundesamtes für Verkehr vor. Da die DB hinsichtlich ihres Betriebs auf Schweizer Boden aus Sicht der Schweiz den Status einer KTU hat, liesse sich die Ausdehnung der Gültigkeit der SBB-Abonnemente relativ einfach bewerkstelligen.

5. Der vom schweizerischen Bundesrat und vom deutschen Bundestag genehmigte, vom schweizerischen Parlament aber abgelehnte Staatsvertrag über den Flughafen Zürich wird den Parlamenten beider Länder noch in diesem Jahr unverändert zu neuerlicher Beschlussfassung unterbreitet. Gegenüber dem gegenwärtigen, von Deutschland einseitig verfügten Anflugregime ergäben sich zusätzliche Lärmbelastungen für gewisse grenznahe deutsche Dörfer bzw. lärmmässige Entlastungen für die dicht besiedelten Zürcher Gebiete im Süden und Osten des Flughafens. Die Lärmverlagerungen ergäben sich am frühen Morgen und am späten Abend (keine Südanflüge mehr wochentags zwischen 06.00 und 07.00, keine Ostanflüge wochentags zwischen 21 und 22 Uhr).

Die finanzielle Beteiligung der Schweiz an den gemäss den Punkten 1 bis 3 auf deutschem Territorium zu tätigenden Investitionen richtet sich nach den im HGV-Gesetz enthaltenen Rechtsgrundlagen und Finanzierungsformen (Darlehen, à fonds perdu-Beiträge) oder anderen zwischen der Schweiz und Deutschland für den grenzüberschreitenden Bahnverkehr bereits getroffenen Abmachungen (Rückzahlung von Investitionen in Form von Leistungsvereinbarungen). Die Punkte 1 bis 4 werden inhaltlich und zeitlich so mit dem Punkt 5 verknüpft, dass nur eine gemeinsame Realisierung des Bahnausbaus und des Flughafenvertrags möglich ist.

Schaffhausen, 3. April 2008/hjf