Die Landesregierung und Fluglärmgegner wehren sich gegen das neue satellitengestützte Anflugverfahren am Flughafen Zürich. Sie fürchten, die deutschen Schutzverordnungen könnten ausgehebelt werden.
Waldshut/Zürich – Ein neues, satellitengestütztes Anflugverfahren könnte die derzeit geltenden strengen Auflagen Deutschlands an die Anflüge vom Flughafen Zürich zu bestimmten Zeiten unterlaufen und zur befürchteten Einführung des gekröpften Nordanflugs führen. Auch der von Deutschland im Juni 2012 ausgehandelte, aber noch nicht ratifizierte Staatsvertrag mit der Schweiz zum Fluglärm hätte dann für die Eidgenossen keine allzu hohe Priorität mehr, sind deutsche Fluglärmgegner überzeugt.
Nach der derzeit gültigen 220. Durchführungsverordnung (DVO) darf der Flughafen Zürich werktags nur zwischen 7 und 21 Uhr sowie an Wochenende und Feiertagen von 9 bis 20 Uhr über deutsches Gebiet angeflogen werden. Außerdem sollen die Anflüge von Norden über deutsches Gebiet von derzeit rund 100 000 auf 80 000 begrenzt werden.
Mit dem gekröpften Nordanflug auf Schweizer Gebiet würde der dicht besiedelte und wohlhabende Süden von Zürich geschont, der seit Inkrafttreten der deutschen Verordnung am frühen Morgen mit Anflügen belastet wird.
Schweizer Luftfahrtbehörde hat das GPS-System genehmigt
In den Reihen der Fluglärmgegner auf deutscher Seite ist das Misstrauen gegenüber Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) und seiner Behörde gewaltig gewachsen. Denn das GPS-System steht offenbar kurz vor seiner Einführung. In der Schweiz ist es vom Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) schon 2011 genehmigt worden. Der Flughafen Zürich hat bereits eine vier Millionen Euro teure Bodenstation für den Satellitenanflug gebaut.
Die Eidgenossen benötigen nur noch die Erlaubnis aus Deutschland, da die DVO abgeändert werden muss. Das Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung im hessischen Langen sieht offenbar kein Problem und stuft die hochsensible politische Frage offenbar auf ein technisches Problem herab.
Die geplanten Anpassungen hätten „weder Auswirkungen auf den Fluglärm noch auf die luftverkehrsbedingten Schadstoffemissionen“, ließ das Ministerium bereits Ende Juli einige Mitglieder der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf eine Kleine Anfrage hin wissen. Explizit heißt es : es gebe „keinerlei Auswirkung auf die Lärmbelästigung der süddeutschen Grenzregion“.
Fluglärmgegner befürchten bis zu 200 000 Anflüge im Jahr
Das sehen Landespolitiker und Fluglärmgegner anders. Die regionalen Landtags- und Bundestagsabgeordnete von den Grünen bis SPD und CDU laufen Sturm gegen die Pläne. Das Landratsamt Waldshut warnte Dobrindts Ministerium „nochmals eindringlich“, die geplante Änderung vorzunehmen. Gehe das durch, würden die morgendlichen „Weckflüge“ den Hochrhein „wieder voll treffen“.
Bernhard Wütz (CDU), Ex-Landrat in Waldshut und einer der prominentesten Streiter gegen Zürich, ist überzeugt: „Wenn das durchgeht, kann der Flughafen Zürich fliegen, wo immer es ihm beliebt.“ Denn tagsüber gelten die Beschränkungen nicht. Dort könne der Airport den Flugverkehr beliebig ausweiten. „Wenn das System eingeführt wird, sind meiner Erinnerung nach bis zu 200 000 Anflüge im Jahr möglich“, sagt der Jurist. Einen Staatsvertrag brauche es dann nicht mehr. Bereits Mitte Juni hatte das baden-württembergische Verkehrsministerium von Dobrindt gefordert, die beantragten neuen Anflugverfahren „vorerst nicht zu gestatten“. Irritiert hatte sich die Staatssekretärin Gisela Splett (Grüne) vor allem darüber gezeigt, dass die deutsche und die schweizerische Flugsicherung „hinter verschlossenen Türen und ohne jede Beteiligung der Öffentlichkeit“ verhandeln.
Die neuen Anflugverfahren zuzulassen „wäre das falsche Signal zur falschen Zeit“, warnte Splett. Von Dobrindt hat sie seither nichts gehört. Das Thema hat in Berlin offenbar keine allzu hohe Priorität. Zu einer Sondersitzung des 2010 eingesetzten Fluglärmbeirats Ende Juni hatte Dobrindt wie schon vier Mal zuvor keinen Vertreter entsandt. Ohne Präsenz der Fachleute aber mache die Sache keinen Sinn, schlussfolgerte Splett und sagte die Tagung ab.
80 Prozent der Anflüge gehen über deutsches Gebiet
Der Flughafen Zürich-Kloten besteht seit 1948 und ist der größte Flughafen der Schweiz. Er liegt 15 Kilometer südlich der deutschen Grenze. Seit den 1960er Jahren nimmt der Flugverkehr stetig zu. Seit dieser Zeit wächst auch der Protest innerhalb und außerhalb der Schweiz gegen den Fluglärm.
Lange Zeit nahmen die Eidgenossen den deutschen Widerstand nicht ernst. 1984 wurde mit Deutschland eine lose Verwaltungsvereinbarung zum grenzüberschreitenden Flugverkehr getroffen. Ein Staatsvertrag sollte sie im Jahr 2001 ersetzen, wurde aber nach Widerständen nicht ratifiziert.
Deutschland erließ in der Folge Verordnungen zu Flugzeiten, Routen und Mindestflughöhen. 2012 handelte der damalige Verkehrsminister Ramsauer abermals einen Staatsvertrag aus, der nach Protesten in Südbaden auf Eis liegt. 80 Prozent der Anflüge gehen weiterhin über süddeutsches Gebiet.