Fast Fashion wird immer beliebter. Jede zweite Luftfracht aus China ist voll mit Kleidung. Das fordert die Logistikunternehmen.
Fünf T-Shirts für je fünf Franken, geliefert in fünf Tagen – und das direkt aus China. Was absurd klingt, ist das sehr erfolgreiche Geschäftsmodell des chinesischen Online-Modehändlers Shein. Das Motto des Konzerns: «Macht die Schönheit der Mode für alle zugänglich». Oder eben: Kauf so viel, so schnell und so günstig wie möglich.
Seit kurzer Zeit bietet Shein im Online-Shop bei ausgewählten Produkten die Option «Quickship» an. Artikel, die mit diesem Label versehen werden, sind in fünf Tagen bei der Kundin oder beim Kunden daheim. Der Online-Händler Temu ist ähnlich billig und ähnlich schnell. In 4 bis 14 Tagen werde ein Produkt geliefert, heisst es auf der Website. Temus Motto: «Shoppe wie ein Milliardär».
Sowohl Shein als auch Temu stellen sämtliche Produkte in China her, beliefern aber die ganze Welt. Der Versand ist so effizient, weil die beiden Unternehmen die meisten ihrer Produkte direkt von den Fabriken in individuell adressierten Paketen per Flugzeug zu den Kundinnen und Kunden schicken.
Die Unternehmen halten die Lieferkette so schlank wie möglich. Es gibt keine Zwischenhändler, keine teuren Lagerzeiten – keine Umwege.
Jede dritte Luftfracht
Shein, im Jahr 2012 gegründet, ist heute der grösste Fast-Fashion-Anbieter weltweit. Das chinesische Unternehmen kontrolliert laut Schätzungen fast ein Fünftel des globalen Marktes in diesem Bereich. Und dürfte in den kommenden Jahren noch wachsen. Schon bald könnte Shein so viel umsetzen wie seine beiden grössten Konkurrenten zusammen: die H&M-Gruppe und der spanische Konzern Inditex, zu dem Marken wie Zara oder Bershka gehören.
Temu gehört dem grössten chinesischen Online-Händler PDD Holdings, in China bekannt als Pinduoduo. Im Jahr 2022 lancierte PDD den Online-Shop Temu in den USA, seit Frühjahr 2023 sind die Produkte in der Schweiz und in Deutschland erhältlich. Temu verkauft neben Kleidung auch Kosmetikprodukte, Elektroartikel, Möbel.
Die zwei Online-Händler haben dieselbe Strategie: Sie werben aufdringlich auf sozialen Netzwerken wie Instagram oder Tiktok und verkaufen ihre Produkte vorwiegend via Online-Shop. Jeden Tag werden Tausende neue Artikel angeboten, angepasst an die Bedürfnisse der Käuferinnen und Käufer.
Während die Fast-Fashion-Marke Zara etwa zwei Wochen braucht, um neue Trends in die Läden zu bringen, braucht Shein nur wenige Tage.
Doch dieses Geschäftsmodell hat Tücken. Umweltschützer klagen über die umweltschädliche Produktion und den Transport auf dem Luftweg, Konsumentenschützer warnen vor gefährlichen Schadstoffen in den Produkten. Der Schweizer Konsumentenschutz etwa empfiehlt, bei Temu keine Elektronikgeräte zu bestellen. Arbeitsrechtler in den USA werfen Shein ausserdem vor, zur Herstellung der Kleidung Baumwolle aus der chinesischen Region Xinjiang zu benutzen. Derjenigen Region, in der Peking die muslimische Minderheit der Uiguren brutal unterdrückt.
Nun bedrängen Shein und Temu auch die Luftfracht, schreibt die Nachrichtenagentur Reuters erstmals in einem Bericht. In den vergangenen Monaten habe die Menge an Fast Fashion, die von China nach Europa und in die USA geschickt worden sei, stark zugenommen.
Reuters hat mit zahlreichen Logistikunternehmen in Europa und den USA gesprochen. Die Erkenntnis: Die Hälfte aller Sendungen aus dem chinesischen Online-Handel, die die Landesgrenzen überqueren, stammt von Fast-Fashion-Unternehmen. Weltweit nimmt Fast Fashion etwa ein Drittel aller Langstrecken-Frachtflugzeuge in Anspruch.
Temu transportiert täglich 4000 Tonnen per Flugzeug, Shein gar 5000. Zum Vergleich: Apple transportiert 1000 Tonnen pro Tag. Die Schweiz hat gemäss Handelsstatistik letztes Jahr 36 000 Tonnen Kleidung aus China importiert – das entspricht einem Drittel der gesamten Importe in diesem Bereich.
Anfragen aus Asien steigen
Shein und Temu haben gemäss Bolloré Logistics, einem der grössten Logistikunternehmen weltweit, einen grösseren Einfluss auf die Luftfracht als die Attacken der islamistischen Huthi-Miliz im Roten Meer.
Die Schifffahrt im Roten Meer zählt zu den weltweit wichtigsten Handelsrouten. Wegen der Angriffe auf Handelsschiffe ist dieser Transportweg allerdings riskant geworden, und viele Unternehmen suchen nach Alternativen – etwa bei der Luftfracht. Doch der Luftweg zwischen China und Europa beziehungsweise den USA ist wegen Shein und Temu fast vollständig ausgelastet.
Gemäss Unique Logistics, einem weiteren Logistikunternehmen, würden sich Shein und Temu mittlerweile direkt an Fluggesellschaften wenden, um sich den Frachtraum zu sichern. Shein ging bereits im Jahr 2022 eine Partnerschaft mit China Southern Airlines ein, der grössten Fluggesellschaft im asiatischen Raum. Dahinter steckt das Bestreben, künftig noch mehr Produkte nach Europa und in die USA senden zu können.
Bei Swiss World Cargo, dem Logistikunternehmen der Swiss, nähmen die Anfragen für E-Commerce-Sendungen aus Asien seit Jahren zu, sagt eine Sprecherin auf Anfrage der NZZ. Man gehe davon aus, dass dieser Trend anhalten werde.
Standards für Produktsicherheit werden unterlaufen
Der aggressive Vorstoss der chinesischen Billig-Plattformen nach Europa führt inzwischen dazu, dass Berlin und Brüssel Gegenmassnahmen ergreifen wollen, wie die deutsche «Wirtschaftswoche» schreibt. Politik, Wettbewerber und auch Verbraucherschützer würden teilweise massive Regelverstösse feststellen.
In Berlin befürchtet die Regierung, dass die chinesischen Anbieter die Standards für Produktsicherheit, Umwelt- und Verbraucherschutz unterlaufen. Damit sich auch Temu & Co. an die regulatorischen Anforderungen halten, werden verschärfte Kontrollen erwägt.
Zudem scheinen die chinesischen Plattformbetreiber die europäischen Zoll- und Umsatzsteuerbestimmungen zu unterlaufen. Es gibt so gut wie keine Produkte, die mehr als 150 Euro kosten. Damit bleiben die chinesischen Verkäufer unter der Zollfreigrenze und die Kunden müssen die Waren nicht umständlich verzollen.
Während die chinesischen Anbieter Gegenwind bekommen, bauen Konkurrenten ihre Angebote aus. Inditex setzt auf ihre neue, auf ein junges Publikum ausgerichtete Billigmarke Lefties. Heute gibt es Lefties in 17 Ländern, darunter in Spanien, Ägypten, Mexiko, Rumänien und der Türkei. Das Ziel: noch schneller, noch trendiger, noch günstiger zu werden als die Konkurrenz.