Abwägung von Alternativen zur Vergabe der Gemeindezeitung an Private
MP- Interview vom 21.04.2023 von Christoph Lehmann mit
Johannes Reich, Professor für Öffentliches Recht an der Uni Zürich.
Der Gemeinderat möchte die Herausgeberschaft der «Maurmer Post» in private Hände geben, um die Unabhängigkeit der Redaktion zu stärken. Darüber stimmt das Volk an der Gemeindeversammlung vom 12. Juni ab.
In der Diskussion zum Thema stellten sich einige Maurmer die Frage, ob es nicht noch andere Möglichkeiten als eine Privatisierung gäbe. Dazu gibt Prof. Dr. iur. Johannes Reich der MP seine Einschätzungen ab. Er ist Professor für Öffentliches Recht, Umweltrecht und Energierecht an der Universität Zürich.
– Seit fast 50 Jahren hat die Gemeinde Maur eine eigene Dorfzeitung. Die Gemeindebehörde möchte die «Maurmer Post» künftig aber nicht mehr selber herausgeben, sondern über eine Submission – also eine öffentliche Ausschreibung – einem Privaten übertragen. Ist dies für Sie nachvollziehbar?
Ich kenne die lokalen Verhältnisse nicht und weiss auch nicht, welche Konflikte in der Vergangenheit vorgekommen sind. Konflikte zwischen dem Gemeinderat als politischer Behörde und einer Redaktion, die unabhängig und politisch neutral berichten soll, lassen sich aber nie völlig ausschliessen. Zudem ist es immer möglich, dass solche Konflikte Folgen für das Anstellungsverhältnis der Redaktion haben und damit die arbeitsrechtliche Fürsorgepflicht der Gemeinde gegenüber der Redaktion in Frage stellen. Deshalb ist eine solche Verselbständigung sicher prüfenswert.
– Wie könnte dieses strukturelle Problem sonst noch gelöst werden, damit die Zeitung bei der Gemeinde verbleiben kann?
Eine Möglichkeit, die relativ einfach umzusetzen wäre, ist die Schaffung einer eigenständigen Kommission. Das Zürcher Gemeindegesetz sieht vor, dass Gemeinden durch eine Änderung der Gemeindeordnung eigenständige Kommissionen schaffen können. Notwendig wäre also eine Urnenabstimmung.
Eigenständige Kommissionen sind für einen Teil der Verwaltungsaufgaben zuständig und in diesem Sinn eigenständig. Völlig unabhängig vom Gemeinderat sind sie allerdings nicht. Der Präsident oder die Präsidentin muss Mitglied des Gemeinderates sein. Die übrigen, mindestens vier Mitglieder können dagegen frei bestimmt werden.
– Eine solche Kommission würde dann also vom Souverän gewählt?
Die Gemeindeordnung müsste vorsehen, dass die Wahl durch die Gemeindeversammlung oder an der Urne erfolgt. Ähnlich ist dies ja bei der Rechnungsprüfungskommission (RPK). In Gemeinden wie Maur, die kein Parlament haben, ist die Wahl der RPK an der Urne durch kantonales Recht zwingend vorgeschrieben.
– Im Gegensatz zur RPK, welche ja keinen Präsidenten aus dem Gemeinderat hat, hätte also eine solche «Herausgeberkommission» zwingend einen Präsidenten aus der Gemeindebehörde?
Ja, das ist so. Zwischen der RPK und eigenständigen Kommissionen gibt es wichtige Unterschiede. Die RPK hat die Aufgabe, den Finanzhaushalt und das Rechnungswesen der Gemeinde nach finanzpolitischen Gesichtspunkten zu prüfen. Daher muss die RPK vom Gemeinderat auch personell unabhängig sein. Die RPK stellt den Stimmberechtigten aber nur Anträge. Eigene Anordnungen treffen oder Weisungen erteilen kann sie nicht.
Bei eigenständigen Kommissionen liegen die Dinge anders. Sie handeln anstelle des Gemeinderates und sind diesem in ihrem Zuständigkeitsbereich gleichgestellt. Der Gemeinderat bleibt aber für die übergreifende politische Planung und Führung der Gemeinde verantwortlich. Das bedingt eine Koordination zwischen dem Gemeinderat und eigenständigen Kommissionen.
Daher verlangt das Gemeindegesetz zwingend, dass das Präsidium eigenständiger Kommissionen von einem Mitglied des Gemeinderates wahrgenommen wird.
– Neben einer solchen eigenständigen Kommission – gibt es da noch andere Formen einer geeigneten Herausgeberschaft? Ein Trägerverein beispielsweise, der die MP übernimmt?
Ein Verein hat den Vorteil, eine eigenständige juristische Person zu sein und flexible Strukturen zu besitzen. Vereine sind aber Körperschaften. Sie brauchen also Mitglieder und dazu auch noch einen Vorstand. In der Vereinsversammlung entscheidet die Mehrheit. Die Statuten müssten Regelungen enthalten, wer Vereinsmitglied werden kann. Für eine Dorfzeitung ist ein Trägerverein, an dem die Gemeinde beteiligt ist, zwar ein gangbarer Weg, er würde die Sachlage aber ganz grundsätzlich verändern. Die Errichtung eines Trägervereins als solche garantiert zudem die Unabhängigkeit der Redaktion überhaupt nicht.
– Könnte die Behörde denn die Herausgeberschaft der MP direkt einem Verein als Mandat übertragen? Oder müsste sich der Verein ebenfalls dem öffentlichen Submissionsverfahren stellen und sich dort folglich gegen die mitbietenden privaten Verleger durchsetzen, um den Zuschlag zu erhalten?
Ob das Vergaberecht zur Anwendung kommt, ist von der konkreten Ausgestaltung abhängig. Wenn die Gemeinde Dienstleistungen – die Herausgabe einer Gemeindezeitung – in einem bestimmten finanziellen Mindestumfang beim Trägerverein einkauft, ist nicht ausgeschlossen, dass ein Submissionsverfahren durchgeführt werden müsste.
– Wäre es anders bei einer Stiftung?
Rechtlich gesehen ist die Stiftung ein Vermögen, das für einen bestimmten Zweck verselbständigt wird. Dadurch könnte die Unabhängigkeit der Redaktion tatsächlich sehr weitgehend abgesichert werden. Man müsste aber zunächst ein Vermögen und einen Zweck bestimmen. Stiftungen benötigen zudem einen Stiftungsrat und unterstehen auch einer besonderen Aufsicht. Die nachträgliche Änderung des Stiftungszwecks ist zudem aufwändig. Der Weg über eine Stiftung erscheint mir daher unverhältnismässig kompliziert – insbesondere, wenn es in der Vergangenheit keine gravierenden Probleme gegeben hat.
Insgesamt ist die Einsetzung einer eigenständigen Kommission für die Leitung dieses Verwaltungsbereichs und als Garant der Sicherstellung der Unabhängigkeit aus meiner Sicht zwar kein perfekter, aber der einfachste und wohl auch der finanziell günstigste Weg. Völlig unabhängig ist eine solche Kommission vom Gemeinderat nicht. Die Gemeindeordnung kann aber sicherstellen, dass die unabhängigen Mitglieder der Kommission in der klaren Mehrheit sind und nur das Präsidium vom Gemeinderat abgeordnet wird.
– Und wenn die Mitarbeitenden der Redaktion nicht angestellt wären, sondern als Selbständigerwerbende bloss Honorarrechnungen an die Gemeinde richten für ihre Leistungen? Dann gäbe es punkto Unabhängigkeit keine Abgrenzungsprobleme mehr – oder?
In einem solchen Szenario bestünde zwischen der Gemeinde und der Redaktion ein Auftragsverhältnis. Beauftragte sind an die Weisungen des Auftraggebers gebunden. Ein Weisungsrecht der Gemeinde gegenüber der Redaktion widerspräche aber dem Ziel einer unabhängigen und politisch neutralen Berichterstattung. Das Weisungsrecht liesse sich allenfalls ausschliessen – ob und in welchem Umfang dies zulässig wäre, ist aber umstritten. Schwerer wiegt, dass ein Auftragsverhältnis von Gesetzes wegen jederzeit gekündigt werden darf. Gegenüber politischen Druckversuchen wäre die Redaktion also nur sehr schwach geschützt. Sie liesse sich angesichts des Damoklesschwerts der jederzeitigen Kündbarkeit potenziell einfach politisch gefügig machen.