Südanflug NEIN!

Zürich - Schweiz

Südstarts geradeaus
Keine Südstarts geradeaus

Die Schneiser hoffen nun auf die Pistenverlängerung

ZSZ 27.10.2023

20 Jahre Südanflüge Nach zwei Jahrzehnten haben viele Menschen im Kampf gegen die Südanflüge resigniert. Dabei könnte es noch schlimmer kommen. Und doch gibt es einen Lichtblick.

Als am 30. Oktober 2003 die ersten Maschinen vom Süden her den Flughafen Zürich anflogen, war der Teufel los. Man verstand kein Wort mehr. Die Menschen, die sich morgens um 6 Uhr in Gockhausen zum Protest versammelt hatten, wurden von den Fliegern überdröhnt. Die Empörung in der Bevölkerung war gross. Manche drohten sogar mit einem Steuerboykott gegenüber einem Staat, der so etwas billigte.

Heute, 20 Jahre später, hat sich der grosse Zorn gelegt. Um den Verein Flugschneise Süd – Nein (VFSN), der damals den Protest kanalisierte und der viel Zulauf hatte, ist es ruhiger geworden. «Viele Leute haben resigniert, viele sind frustriert», sagt VFSN-Präsident Urban Scherrer. Die Zahl der Vereinsmitglieder ist von knapp 6000 auf 4000 geschrumpft. Zudem sind viele Unterstützer der ersten Stunde alt geworden, manche weggezogen. Und wer sich erst in den letzten Jahren in der Region niedergelassen hat, hat sich von Anfang an mit dem Fluglärm arrangiert.

Wachsam sein

Braucht es also den Verein überhaupt noch? «Ganz klar Ja», sagt Scherrer. Im Moment sei es zwar sicher schwierig, neue Mitglieder anzuwerben. Die Aufgabe des Vereins habe sich aber gewandelt: Es gehe derzeit nicht um Proteste, sondern darum, wachsam zu sein. «Wenn wir jetzt aufhören, haben wir keinen Schutzschild mehr.»

Ein Schutzschild für das, was noch kommt. Für das, was alles noch schlimmer machen könnte: die Südstarts geradeaus, bedeutend lauter als die Südanflüge. Der Flughafen hat sie vor sechs Jahren beantragt. Das Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) hat aber immer noch nicht darüber befunden. «Uns ist das recht», sagt Scherrer. «Wenn der Entscheid fällt, müssen wir aber bereit sein.» Der Verein hat bereits eine Beschwerde vorbereitet, die wahrscheinlich auch aufschiebende Wirkung hätte, bis die Gerichte darüber geurteilt haben. Scherrer weiss: Kommen die Südabflüge geradeaus, hat die Bewegung sofort wieder Rückenwind. «Viele Menschen reagieren leider erst, wenn es schon zu spät ist.»

Es gehe allerdings nicht nur um Fluglärm. Denn die Südanflüge, sagt Scherrer, seien auch ein Sicherheitsrisiko. Sie würden über dicht besiedeltes Gebiet erfolgen. Der potenzielle Absturzkorridor befindet sich über Wohngebiet, nirgends wäre eine Notlandung möglich. Der Verein rechnet vor: Auf eine betroffene Person im Norden des Flughafens kommen drei im Westen, acht im Osten und achtzehn im Süden.

«Politischer Wille fehlt»

Langfristig hoffen die «Schneiser», dass es dereinst doch noch zu einer Einigung mit Deutschland kommt, das vor 20 Jahren einseitig eine morgendliche und abendliche Flugsperre über sein Territorium verhängt und damit den Boden für die Südanflüge geebnet hatte. «Eine Einigung wäre die beste Lösung», sagt der VFSN-Präsident. Doch so einfach wird diese nicht zu haben sein. Obwohl Scherrer findet: «Dank neuer Techniken könnte man heute den Flughafen von Norden her anders anfliegen und den Fluglärm für die betroffenen Dörfer in Deutschland lindern.» Auch der sogenannte gekröpfte Nordanflug, der den Süden und den Osten – die am dichtesten besiedelten Gebiete – entlasten würde, wäre für den Verein weiterhin eine Option. Und aus Scherrers Sicht auch machbar, auch wenn dies das Bazl vor einigen Jahren anders sah. «Wenn der politische Wille da wäre, gäbe es einen Strauss von möglichen Massnahmen.»

Immerhin: Ein Fünkchen Hoffnung gibt es für die Schneiser – die Pistenverlängerung, über welche die Stimmberechtigten im nächsten Jahr abstimmen. Der VFSN ist dafür, denn mit der geplanten Verlängerung der Piste 28 gegen Westen könnten mehr Flugzeuge von Osten her anfliegen und müssten nicht mehr wie heute über den Süden landen. Allerdings: Bis es so weit und die Piste verlängert ist, dürften wohl mindestens zehn weitere Jahre vergehen.

Abbau von Verspätungen?

Auch das Fluglärmforum Süd, die Plattform der Gemeinden im Süden des Flughafens, hat sich mit der Pistenverlängerung befasst. Eine gewisse Hoffnung zeigt sich auch hier: «Wenn dadurch das Anflugregime von Osten stabiler würde, könnte dies den Süden entlasten», sagt Sascha Ullmann (GLP), Präsident des Fluglärmforums Süd und Zolliker Gemeindepräsident.

Vor allem aber gehe es um die Frage, inwiefern die Pistenverlängerung den Abbau von Verspätungen garantieren könne. Denn daran hätten alle betroffenen Himmelsrichtungen ein grosses Interesse, sagt Ullmann. Heute werde der Flughafen aufgrund von Verspätungen ständig bis 23.30 Uhr angeflogen, obwohl spätestens ab 23 Uhr Ruhe sein müsste. «Der Flughafen muss das Gesetz endlich einhalten.»

Für das Fluglärmforum Süd, dem fast alle Gemeinden aus den Bezirken Meilen und Uster angeschlossen sind und das fast 300’000 Einwohnerinnen und Einwohner vertritt, sei die Nachtruhe ein grosses Thema, sagt Ullmann. Besonders störend sei es für die betroffene Bevölkerung, wenn sie kurz vor Mitternacht plötzlich noch ein verspätetes Flugzeug aus dem Schlaf reisse.

Das Forum kämpft deshalb dafür, dass die Fluglärmbelastung anders gemessen wird. Heute wird sie im Stundenmittel ermittelt. Das hat zur Folge, dass ein einzelner verspäteter Flieger am Abend auf 60 Minuten verteilt statistisch gesehen kaum Lärm verursacht – dabei beeinträchtigt er die betroffenen Menschen gerade dann besonders.

Sorge um Gesundheit

Wie der VFSN will das Fluglärmforum Süd wachsam sein, was die Südstarts geradeaus betrifft. Aus Sicht von Ullmann hat sich gerade hier der jahrelange Widerstand bezahlt gemacht. Er gibt sich überzeugt: «Hätten wir uns nie gewehrt, wären wohl auch die Südstarts geradeaus bereits Tatsache.» Gerade aus diesem Grund brauche es das Forum weiterhin: «Wir müssen besonders jetzt dranbleiben.»

Zudem glaubt er, dass das Bedürfnis nach weniger Fluglärm immer noch immens sei, selbst wenn der Widerstand aus der Bevölkerung nachgelassen habe. «Es stimmt zwar: Es gibt eine gewisse Resignation und einen Gewöhnungseffekt. Das heisst aber nicht, dass Fluglärm in der Zwischenzeit gesünder geworden ist oder weniger stört.»