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Zürich - Schweiz

Südstarts geradeaus
Keine Südstarts geradeaus

GLP-Regierungsratskandidat Scherrer ist plötzlich für Pistenverlängerungen

TA 02.01.2023 – Erweiterung am Flughafen Zürich

Lange lehnten Benno Scherrer und die Grünliberalen Pistenausbauten in Kloten klar ab. Doch der Wind hat gedreht. 

Kommt es aufgrund der GLP zu einem Meinungsumschwung in einer alten und zentralen Flughafenfrage? Die Verlängerung von Flughafenpisten wird seit den 1990er-Jahren diskutiert. In den Nullerjahren wurden Flugrouten, der Lärm und Ausbauvorhaben am Flughafen Zürich sogar zu einem dominierenden Thema der kantonalen Politik.

Dieses beschäftigte auch die frisch lancierte GLP. Kurz nach der Gründung verfasste die Partei ein Positionspapier zum Flughafen. Eine der zentralen Forderungen: keine Erweiterung des Pistensystems. Gemäss Parteigründer Martin Bäumle, dem Co-Autor des Papiers, gilt die Stellungnahme von 2005 immer noch. Sie ist auf der Homepage der Zürcher GLP aufgeschaltet, wenn auch etwas versteckt. «Pistenausbauten würden nur einer Kapazitätserhöhung dienen und mehr Lärm- und Umweltbelastung für alle Regionen bringen», steht im dreiseitigen Papier.

Geschlossen gegen Ausbauten

Nun spricht sich der GLP-Kantonsrat und Regierungsratskandidat Benno Scherrer dennoch für eine Verlängerung der Pisten aus. Dabei war er es noch, der die 2005 gefasste Position als Fraktionspräsident der Grünliberalen in den Kantonsrat getragen hatte. Die GLP gehörte mit den Grünen und der SP zu den scharfen Kritikern der anvisierten Pistenverlängerungen. Mehrmals stimmte die GLP geschlossen gegen Pistenausbauten, zum Beispiel 2007 und 2009, als es um eine Initiative von 42 Flughafengemeinden ging. Oder 2014, als das Parlament die Pistenverlängerungen aus dem Richtplan kippte. Die damalige GLP-Sprecherin Barbara Schaffner sagte: «Die Verhinderung von Pistenausbauten ist für die GLP zentral.» 

2016 engagierte sich Scherrer persönlich – etwa bei Podiumsdiskussionen – gegen eine Initiative der Flughafenbefürworter. Diese wollten, dass in jedem Fall das Stimmvolk über Pistenausbauten entscheidet – und hatten in der Volksabstimmung Erfolg damit. Hintergrund war, dass sich der Kantonsrat zuvor mehrmals gegen Verlängerungen ausgesprochen hatte.

Regierung will Pistenverlängerung

Jetzt ist das Thema wieder aktuell. Der Flughafen hat 2019 beim Kanton angeklopft, worauf der Regierungsrat der geforderten Verlängerung der Pisten 28 und 32 zustimmte und mit dem entsprechenden Antrag ans Parlament gelangte. Das war vor anderthalb Jahren.

Das Geschäft wird derzeit intensiv in der Verkehrskommission des Kantonsrats diskutiert – seit Mai 2022 war es mindestens zehnmal traktandiert. Zum Stand der Beratungen, zum Inhalt und zu einem möglichen Abschlusstermin möchte sich Kommissionspräsident Alex Gantner (FDP) nicht äussern. Auch Volkswirtschaftsdirektorin Carmen Walker Späh (FDP) wollte aufgrund der laufenden Beratungen kürzlich an einem Pressetermin nichts zu den Pistenverlängerungen sagen.

«Die Pistenverlängerungen sollen der Stabilisierung des Flugbetriebs und der Einhaltung der Nachtruhezeit dienen.»

Benno Scherrer, GLP-Kantonsrat und Regierungsratskandidat

Benno Scherrer wiederum nimmt Stellung. Entgegen seinen früheren Aussagen stimme er dem Pistenausbau nun zu. Als Bedingung stellt der GLP-Regierungsratskandidat, dass die Anzahl Flüge nicht zunimmt. «Die Pistenverlängerungen sollen der Stabilisierung des Flugbetriebs und der Einhaltung der Nachtruhezeit dienen», sagt Scherrer im Gespräch mit dieser Zeitung.

Flughafen und Regierungsrat argumentieren in ihrem Antrag ähnlich. Ziel sei ein Sicherheitsgewinn und eine höhere Pünktlichkeit. Zur Sicherheit: Die Flugzeuge müssten infolge der Pistenverlängerungen weniger oft auf den sich kreuzenden Pisten starten und landen. Das Zürcher Pistenkreuz war in einem Bericht nach einem Fast-Unfall zum Sicherheitsrisiko deklariert worden, das es auszumerzen gelte. 

Zur Pünktlichkeit: Auf der mit 2500 Metern kürzesten Piste 28 können die Grossraumflieger nicht bei jeder Wetterlage landen. Und auf der Piste 32 können diese Flieger nicht immer starten, da sie mit 3300 Metern ebenfalls zu kurz ist. Daher müssen immer wieder Starts und Landungen auf die 3700 Meter lange Piste 16/34 umgeleitet werden, obwohl das Konzept ein anderes wäre. Das kostet Zeit und erhöht das Risiko für Verspätungen.

Der Süden gewinnt, der Osten und der Norden verlieren

Mit der Verlängerung der Piste 28 um 400 Meter nach Westen und der Piste 32 um 280 Meter nach Norden könnten abends und bei Westwindlage alle Flüge gemäss Ostkonzept durchgeführt werden, lautet die Argumentation. Zudem, so betont der Regierungsrat, müssten weniger Flieger über den Süden landen, womit die Lärmbelastung in Opfikon, Schwamendingen und den weiteren Südgemeinden «stark» abnehmen würde. Handkehrum würde die Belastung im Osten, also in Kloten, Bassersdorf und Nürensdorf, sowie im Nordwesten und Nordosten – Höri, Niederglatt, Bülach – «leicht» steigen.

Im Antrag von Flughafen und Regierung steht allerdings nichts von einer Kapazitätsbegrenzung, wie sie Scherrer fordert. Im Gegenteil: Durch den Pistenausbau könne die Stundenkapazität auf siebzig Flieger pro Stunde erhöht werden, heisst es. Der Ausbau kostet 250 Millionen Franken und wird vollumfänglich durch den Flughafen finanziert.

«Pistenausbauten führen zu Mehrverkehr.»

Barbara Schaffner, GLP-Nationalrätin

Dass sich die Anliegergemeinden stets gegen Pistenverlängerungen ausgesprochen haben, obwohl der Flughafen beteuert, nicht auf eine Erhöhung der Kapazität abzuzielen, hat mit der Geschichte zu tun. Zu oft, sagen die Kritiker, habe der Flughafen Versprechungen nicht eingehalten. So wurden – bis auf die Pandemiejahre – die vereinbarten Lärmgrenzwerte stets überschritten.

Ähnliche Bedenken hat Barbara Schaffner. Für die heutige GLP-Nationalrätin ist klar: «Pistenausbauten führen zu Mehrverkehr.» Man könne nicht gegen Sicherheitsargumente sein, sagt sie. Dennoch ist für sie klar, dass der Flughafen letztlich mehr Flüge abwickeln will. Es werde, mutmasst Schaffner weiter, wie dereinst am Gotthard sein. Ist die Infrastruktur erst einmal ausgebaut, werde sie auch ausgelastet. Deshalb sagt sie «immer noch Nein» zu Pistenverlängerungen. Und: «Fliegen ist und bleibt nicht klimafreundlich und erzeugt Lärm.»

Neue Töne der GLP

Scherrer folgt nun einer anderen Linie: «Fliegen ist eine Realität, man muss sich mit dieser Tatsache arrangieren», sagt er. Der Flughafen sei ein Standortvorteil für den Kanton Zürich. Zudem investiere er viel im Bereich synthetische Treibstoffe. Und wenn der Flughafen mit den Ausbauten doch die Kapazität erhöhe, müsse die Kantonsvertretung im Flughafen-Verwaltungsrat einschreiten, sagt Scherrer.

Er betont, sich als Regierungsratskandidat zu äussern. Seine Fraktion im Kantonsrat hat offiziell noch keine Position bezogen. Fraktionspräsident Michael Zeugin sagt, er wolle die Beratungen der Kommission abwarten. Klar sei aber, dass das «Gesamtpaket inklusive Klimaschutz, Anzahl Flugbewegungen, Lärm und Wirtschaftlichkeit stimmen» müsse.

«Früher haben wir uns gegenüber dem Flughafen härter positioniert.»

Martin Bäumle, GLP-Nationalrat

Auch der frühere Flughafenkritiker Martin Bäumle spricht von einer «pragmatischeren Haltung» seiner Partei: «Früher haben wir uns gegenüber dem Flughafen härter positioniert», sagt er und gibt zu bedenken, dass es seit dem GLP-Positionspapier von 2005 eine Entwicklung in die richtige Richtung gab.

Heute sei der Plafond bei 320’000 Flügen akzeptiert, und die Flieger seien leiser geworden. Auch hätten sich sowohl die Swiss wie der Flughafen zu netto null beim CO₂-Ausstoss bekannt, lobt Bäumle. Das Hauptproblem sei für ihn stets weniger der Lärm, sondern die Klimaverträglichkeit gewesen. Die Swiss habe sich zudem zur Beimischung von erneuerbarem Kerosin bekannt. Das mache das Fliegen etwas teurer und sei die wirksame Alternative zur Flugticketabgabe.

Blackbox Kantonsrat

Wie der Kantonsrat zu den Pistenverlängerungen entscheiden wird, ist offen. Die neuen Töne der GLP erhöhen – je nach Sichtweise – die Chance oder das Risiko, dass die Antwort positiv ausfällt.

Das wäre eine Premiere. In der Vergangenheit lehnten die linken Parteien Pistenausbauten ab, die Bürgerlichen hiessen sie gut – im Prinzip. Im Resultat kam es trotz damaliger rechter Dominanz zu Ablehnungen, da in Flughafenfragen die Herkunft der Stimmenden oft wichtiger war als das Parteibüchlein. So votierte stets eine stattliche Anzahl Bürgerlicher aus der Flughafenregion gegen den Airport.

Es könnte also ausgerechnet in Zeiten der mehrheitsfähigen Klimaallianz – falls sie bei den Wahlen vom 12. Februar bestätigt wird – zu einem Umschwung in der Pistenfrage kommen.