Mit Pistenverlängerungen und Südstarts geradeaus bei Nebel und Bise sollen am Flughafen Zürich Sicherheitsmarge und Kapazität erhöht werden. Dies geht aus einem vertraulichen Entwurf hervor.
In Bern wird gegenwärtig die künftige Ausrichtung des Flughafens Zürich definiert. Das Zauberwort, das Aviatiker aufhorchen lässt, heisst «SIL 2» und meint den zweiten und entscheidenden Teil des Sachplans, der den Rahmen für die Entwicklung des Flughafens Zürich in den nächsten zehn bis fünfzehn Jahren absteckt.
Im Zentrum stehen Reizbegriffe wie Pistenverlängerungen und Südstarts geradeaus, letztlich geht es um die Quadratur des Kreises: Wie können Sicherheitsmarge und Kapazität erhöht werden, ohne mehr Menschen mit Fluglärm zu belasten? Ende September, so der Plan, wird Bundesrätin Doris Leuthard das Objektblatt des Sachplans bekanntmachen und in die Anhörung schicken.
Swiss will mehr Kapazität
Die Präferenzen der Verkehrsministerin Leuthard zeigen sich aber bereits jetzt, wie aus dem aktuellen Entwurf des Sachplans für die 1. Ämterkonsultation hervorgeht. In dem 63-seitigen Dokument, das der NZZ vorliegt, fallen zwei Kernaussagen besonders auf: Zum einen sind Verlängerungen der Pisten 28 und 32 nun als verbindliche Festlegungen definiert; im «SIL 1» erhielten sie nur den Status von Vornotierungen. Im Entwurf heisst es: «Der Flugbetrieb soll langfristig auf einem System mit verlängerten Pisten 28 und 32 abgewickelt werden.» Zum anderen sind Südstarts geradeaus, die «Straight out 16», in der Mittagsspitze nicht vorgesehen – und damit für lange Zeit vom Tisch, wenn sie nicht doch noch in letzter Minute in das Objektblatt aufgenommen werden.
Unter anderem die Airline Swiss und die Flugsicherung Skyguide hatten vehement auf Südstarts geradeaus am Mittag gedrängt. In Kombination mit Nordanflügen liesse sich so kreuzungsfrei starten und landen – was Stundenkapazität und Sicherheitsmarge erhöhen würde. Die Kehrseite: Diese Startvariante träfe das am dichtesten besiedelte Gebiet rund um den Flughafen.
Wie im «SIL 1» ist der «Straight» über Teile der Stadt Zürich, die Zürichseeregion und das Zürcher Oberland nun aber auch im Entwurf des «SIL 2» bei Nebel und Bise als Option enthalten. Im Falle einer Umsetzung wäre mit rund tausend solcher Südstarts jährlich zu rechnen. In den Erläuterungen heisst es, Südstarts geradeaus bei Nebel und Bise ermöglichten einen sicheren Betrieb und seien ein gutes Mittel, um Verspätungen zu vermeiden; diese sind heute ein dringliches Problem am Flughafen Zürich.
In der Einleitung des Entwurfs weist das federführende Bundesamt für Zivilluftfahrt (Bazl) darauf hin, dass sich das gegenwärtige Objektblatt auf Varianten beschränkt, die mit den einseitigen deutschen Sperrzeiten kompatibel sind. Sollte der in Berlin blockierte Staatsvertrag doch noch umgesetzt werden, sei eine neuerliche Anpassung nötig. Das Bazl will aber nicht weiter mit dem «SIL 2» zuwarten, um Empfehlungen aus einer Sicherheitsüberprüfung aus dem Jahr 2012 umzusetzen. Zu diesen gehören auch die Umrollung der Piste 28 und Schnellabrollwege von der Piste 14.
Bereichert wird die Flughafendiskussion mit einem neuen Begriff: «4-LVP», der Abkürzung für die im Entwurf favorisierte Betriebsvariante. Sie beruht auf Start und Landung mit verlängerten Pisten. Am Tag soll gemäss dieser Variante von Norden, bei starkem Westwind von Osten angeflogen werden. Sind aufgrund der Wind- und Wetterverhältnisse Landungen von Norden oder von Osten her nicht möglich, wird von Süden angeflogen. Die Starts erfolgen nach Westen und Süden – dorthin mit Linkskurve. Bei Bise und Nebel sind Südstarts geradeaus vorgesehen. Im Objektblattentwurf heisst es: «Die Umstellung vom heutigen Betrieb auf die geplante langfristige Betriebsvariante wird schrittweise vorgenommen werden müssen.»
Engpässe zeichnen sich ab
Als Vorteil der Variante «4-LVP» streicht das Bazl hervor, dass sie Sicherheitsanforderungen erfülle und die künftige Verkehrsnachfrage «so weit wie möglich» abdecken könne. Auch die Lärmbelastung sei aber als wesentliches Kriterium berücksichtigt worden. Bezüglich Kapazitätsentwicklung muss indes ein Fragezeichen gesetzt werden. Zwar wird laut den Festlegungen angestrebt, die Stundenkapazität bei einem Betrieb mit Landungen von Norden und Osten von heute 66 leicht zu erhöhen. Im Entwurf wird aber eingeräumt, dass 2030 auch mit der Variante «4-LVP» das Potenzial nicht abgeschöpft werden könne – bezüglich Flugbewegungen fehlten rund 8 Prozent, bezüglich Passagiere 10 Prozent Kapazität. Ausgehend von der Variante «4-LVP» sei 2030 mit 39 Millionen Passagieren und 346 000 Flugbewegungen zu rechnen.
Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen – nicht zur Variante «4-LVP», aber auch nicht zu den Pistenverlängerungen und zu den Südstarts. Nach der Ende September beginnenden Anhörungsphase wird der Bundesrat das Objektblatt festlegen. Konkrete Umsetzungen muss dann der Flughafen in einem Betriebsreglement beantragen, bei lärmrelevanten Fragen besitzen Regierung und Kantonsrat faktisch ein Vetorecht. Aktualität gewinnt die Volksinitiative «Pistenveränderungen vors Volk», die bald in den Kantonsrat gelangt. Das grossmehrheitlich von Bürgerlichen geprägte Initiativkomitee verlangt, dass das Zürcher Volk zu beantragten Pistenverlängerungen in jedem Fall das letzte Wort hat – auch wenn der Kantonsrat ein konkretes Projekt ablehnen sollte.