Südanflug NEIN!

Zürich - Schweiz

Südstarts geradeaus
Keine Südstarts geradeaus

Pistenverlängerungen: Klar ist eigentlich nur, dass es knapp wird

TA 17.06.2023

Heute Montag entscheidet das Kantonsparlament über den Flughafenausbau. Recherchen ergaben eine Tendenz zum Ja. Doch es gibt Unwägbarkeiten. Das sind die wichtigsten Fragen und Antworten.

Die Pistenausbauten am Zürcher Airport sind das wichtigste Geschäft der noch jungen neuen Legislatur. Im Hintergrund wurde in den letzten Tagen und Wochen «lobbyiert wie noch nie – und zwar von beiden Seiten», wie man von diversen Kantonspolitikerinnen und -politikern hört. Gegner wie Befürworterinnen sind also gleichermassen aktiv, gewiss auch noch am Wochenende.

Worum geht es?

Am Flughafen Zürich gibt es drei Pisten. Zwei davon will er verlängern. Die Piste 28 ist heute 2500 Meter lang und soll um 400 Meter nach Westen in Richtung Rümlang erweitert werden. Die Piste 32 hat eine Länge von 3300 Metern und soll um 280 Meter nach Norden in Richtung Höri verlängert werden. Der Flughafen will dafür 250 Millionen Franken investieren.

Der Flughafen will zwei Pisten verlängern

Was verspricht sich der Flughafen davon?

Seit 1976 wurde am Pistensystem nichts mehr geändert, die sich kreuzenden Pisten bergen Risiken. Zudem sind die Pisten 10/28 und 14/32 für gewisse Flugzeuge zu kurz. So kommt es vor, dass Piloten von grossen Maschinen nicht auf der Piste 28 landen wollen, sondern einen Anflug auf der längeren Piste 34 einfordern. Die längeren Pisten sollen die Sicherheitsmarge erhöhen und die Pünktlichkeit des Flugbetriebs verbessern.

Wie wird heute gestartet und gelandet?

Im Wesentlichen hat das An- und Abflugsystem zwei Konzepte: Tagsüber zwischen 7 und 21 Uhr starten die Flieger auf der Piste 28 nach Westen. Und sie landen von Norden auf der Piste 14. Das System wird deshalb Nordkonzept genannt. Es hat einen grossen Vorteil: Die beiden Pisten kreuzen sich nicht. Es kann gleichzeitig gestartet und gelandet – und durchgestartet – werden. Dieses Konzept ermöglicht die höchste Anzahl an Flugbewegungen.

Regelmässig kommt auch das Ostkonzept zur Anwendung. Es wird von Osten her auf der Piste 28 gelandet. Dies, weil Deutschland seit 2003 Anflüge von Norden zwischen 21 Uhr und 7 Uhr sowie am Wochenende zwischen 20 Uhr und 9 Uhr verbietet. Die Piste 28 steht dann nicht mehr für Abflüge zur Verfügung, gestartet wird stattdessen auf der Piste 32. Das Ostkonzept ist wie das Nordkonzept kreuzungsfrei. Aber: Es muss auf der kürzesten Piste gelandet werden. Weil dies nicht immer möglich ist, kommt es auch zu Landungen auf der Piste 34 – und damit zu Kreuzungen.

Es gibt noch ein drittes System. Das Südkonzept wird vor allem bei der häufigen Bisenlage angewendet. Der Ostanflug kommt dann wegen der kurzen Piste nicht mehr infrage, gelandet wird von Süden her. Das Problem: Es kann dann nicht mehr gleichzeitig gestartet und gelandet werden. 

Was ändert eine Pistenverlängerung daran?

Die Flugkonzepte und Routen blieben mit Pistenverlängerungen unverändert. Doch wenn die Piste 28 länger ist, können auch grössere Flugzeuge darauf landen und müssen nicht auf einen Südanflug ausweichen. Das Flugsystem muss weniger häufig umgestellt werden.

Ungekreuzt starten und landen im Ostkonzept

Was sind die Auswirkungen auf den Lärm?

Grob zusammengefasst: Der Süden profitiert, der Osten und der Norden haben mehr Fluglärm. Die Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt (Empa) hält in ihren Berichten fest: «Im Gebiet südlich des Flughafens nimmt die Lärmbelastung (…) stark ab, während die Lärmbelastung im Osten des Flughafens (…) zunimmt.» Auch im Nordwesten und im Nordosten nehme die «lärmbelastete Fläche» aufgrund des nach Norden verschobenen Abhebepunkts leicht zu. Im Vergleich zu heute würde es tagsüber lärmiger, nachts dafür länger ruhig. Unter dem Strich wird es gemäss Empa etwas mehr Lärmbetroffene geben.

Kann der Staat eingreifen, wenn mehr geflogen wird?

Theoretisch könnte er. Wenn der Zürcher Fluglärmindex (ZFI) überschritten wird, ist die Regierung angehalten, Massnahmen zu treffen. Doch die Erfahrung zeigt, dass dieses Instrument zahnlos ist. Einzig die Corona-Pandemie hat den Lärm unter den Richtwert gedrückt. Eingreifen müsste der Staat gemäss Gesetz auch, wenn die Zahl der Flugbewegungen auf über 320’000 pro Jahr ansteigt. Doch davon ist man mit rund 220’000 Bewegungen (2022) weit entfernt. In den Jahren vor der Pandemie wurden in Kloten jeweils rund 270’000 Bewegungen registriert.

Wird es mehr Flugbewegungen geben?

Dies ist die am heissesten diskutierte Frage. Mit der Pistenverlängerung könnte häufiger gleichzeitig gestartet und gelandet werden. Eine Erhöhung der Kapazität wird dadurch theoretisch möglich. Der Flughafen betont allerdings, er wolle die Sicherheit verbessern, den Betrieb stabilisieren und Verspätungen abbauen. Wenn der Staat keine neuen Beschränkungen vorschreibt, wäre es dem Flughafen aber erlaubt, mehr Flüge als heute abzuwickeln. Immerhin wünscht er sich offiziell einen nachfrageorientierten Flugbetrieb. Übersetzt heisst das: Wenn die Leute mehr fliegen wollen, soll die Nachfrage befriedigt werden. 

Worüber wird abgestimmt?

Konkret stimmt der Kantonsrat am Montag über einen Antrag des Regierungsrats aus dem Jahr 2021 ab. Demnach soll die Dreiervertretung des Kantons – inklusive Volkswirtschaftsdirektorin Carmen Walker Späh (FDP) – im achtköpfigen Verwaltungsrat der Flughafen AG den Pistenverlängerungen zustimmen. Ohne deren Zustimmung darf der Verwaltungsrat keine Veränderung am Pistensystem beschliessen. So regelt es das Flughafengesetz.

Wer ist im Kantonsrat dafür? Wer dagegen?

SVP, FDP, Mitte und EVP sind für den Ausbau der Pisten. Sie betonen die erhöhte Sicherheit und Stabilität im Flugbetrieb sowie mehr Pünktlichkeit und weniger Fluglärm in der Nacht. SP, GLP und Grüne bekämpfen die Pistenverlängerung. Sie befürchten vor allem, dass der Flughafen den Ausbau zur Erhöhung der Kapazität nutzt, was zu mehr Lärm führen werde. 

Dann ist ja alles klar?

Nein. Die befürwortenden Parteien haben zwar eine Mehrheit von 97 zu 83 Stimmen. Allerdings gibt es vor allem auf der bürgerlichen Seite einige Abweichler.

Und wer gewinnt am Ende?

Das ist noch unklar. Die Tendenz geht eher in Richtung einer Zustimmung. Recherchen dieser Zeitung ergaben, dass es auf der rechten Seite mindestens sieben Abweichler gibt und mindestens eine Absenz. Die gegnerische Seite verzeichnet voraussichtlich mindestens eine Abweichung und drei Absenzen. Zudem stimmt die SP-Ratspräsidentin nicht mit. Das Resultat lautete gemäss diesem Szenario 90:85 Stimmen zugunsten der Pistenverlängerungen. Weitere abweichende Stimmen, Absenzen und Enthaltungen sind aber nicht ausgeschlossen. Es würde also nicht erstaunen, wenn es zu einem Zufallsmehr kommt.

Wird nur über den Pistenausbau abgestimmt?

Nein. Zuerst kommen zwei Minderheitsanträge zur Abstimmung. Die GLP will den Antrag an die Regierung zurückweisen und verlangt flankierende Massnahmen. So will sie eine allfällige Erhöhung der Kapazität durch den Ausbau deckeln. Nachts zwischen 22 und 23 Uhr sollen künftig maximal 5000 Bewegungen im Jahr erlaubt sein. Und von 23 bis 6 Uhr soll Ruhe herrschen. Im zweiten Minderheitsantrag verlangt die SP eine neutrale Beurteilung der Konsequenzen eines Gerichtsentscheids aus dem Jahr 2021. Dieser zeige, dass der Lärm in den Abend- und Nachtstunden bisher nicht korrekt abgebildet worden sei und neu festgesetzt werden müsse. Beide Anträge werden es aber schwer haben. Darauf kommt es zur Schlussabstimmung zum Regierungsantrag und zur Kernfrage: Pistenverlängerungen ja oder nein.

Wird bei einem Ja gebaut?

Nein, zumindest nicht sofort. Denn die Gegnerschaft wird das Referendum ergreifen. Das Stimmvolk entscheidet.

Und bei einem Nein?

Dann könnte allenfalls trotzdem gebaut werden. Dieser vermeintliche Widerspruch hat mit einer Spezialität im Flughafengesetz zu tun. Darin wurde das negative Referendum verankert. Sagt das Parlament Nein, kann die Vorlage trotzdem vors Volk gebracht werden. Es ist also so gut wie sicher, dass am Ende die Stimmberechtigten das letzte Wort haben.