Südanflug NEIN!

Zürich - Schweiz

Südstarts geradeaus
Keine Südstarts geradeaus

Wer Langstrecke fliegt, kommt zu günstig weg

TA 21.05.2021

Die geplante Flugticketabgabe trifft Economy-Passagiere für Kurzstreckenflüge überproportional, wie eine neue Studie zeigt. Offen ist, wie stark sie dazu beitragen kann, den Flugverkehr einzudämmen.

Heisst das Stimmvolk am 13. Juni das CO₂-Gesetz gut, wird das Fliegen teurer. Die Abgabe beträgt zwischen 30 und 120 Franken. Noch nicht fix ist ihre genaue Ausgestaltung. Der Bundesrat hat aber einen Vorschlag gemacht: 30 Franken für einen Kurzstreckenflug, 60 Franken für einen Mittelstreckenflug, 90 für einen Langstreckenflug. Dazu kommt ein zusätzlicher Aufschlag von 30 Franken für alle Premium-Klassen, also alle über Economy.

Wie sich nun zeigt, sind diese Abgaben nicht gerecht verteilt. Das ergibt eine neue Studie des Zentrums E4S, an dem die ETH und Universität Lausanne und das Institut für Management Entwicklung (IMD) beteiligt sind. Die Autoren rechnen, dass 30 Franken für einen Economy-Kurzstreckenflug einer Verteuerung des Flugtickets im Durchschnitt um 19 Prozent entspricht. Überträgt man diese Verteuerung proportional auf einen Economy-Langstreckenflug, müsste die Abgabe von 90 Franken auf 133 Franken erhöht werden. Noch krasser ist es bei der Premium-Klasse, dort müsste die durchschnittliche Verteuerung 870 Franken betragen. Diese Berechnungen sind insofern relevant, weil gemäss der Studie nur etwa 20 Prozent aller Passagiere Langstreckenflieger sind, diese Flüge produzieren aber 60 Prozent der Gesamtemissionen durch die Flugreisen.

«Die Flugticketabgabe von 30 Franken für Kurzstreckenflüge Economy sind im Vergleich zu den anderen Kategorien recht happig.»

Philippe Thalmann, ETH Lausanne

«Die Flugticketabgabe von 30 Franken für Kurzstreckenflüge Economy sind im Vergleich zu den anderen Kategorien recht happig», sagt Hauptautor Philippe Thalmann von der EPFL. Wäre diese Minimalabgabe tiefer, könnte die Verteuerung auf den anderen Kategorien «gerechter» sein, so der Ökonom. In anderen Ländern sei das der Fall. In Grossbritannien zum Beispiel beträgt sie umgerechnet nur 17 Franken. Für Thalmann hat die unterschiedliche Verteuerungsrate je Reisekategorie jedoch nicht Priorität. «Ich wäre schon froh, wenn die Klimawirkung in den Taxen besser abgebildet würde», sagt er.

Mehr Treibstoff im Flugverkehr verbraucht

Es sind eben nicht nur die CO₂-Emissionen, die eine erwärmende Wirkung auf die Atmosphäre haben. Bei der Verbrennung des Kerosins in den Flugzeugtriebwerken entstehen auch Stickoxide, Schwefeldioxid, Wasserdampf, Russpartikel und unverbrannte Kohlenwasserstoffe. Diese Gase und Feinpartikel haben einen erwärmenden oder abkühlenden Effekt. Zudem entstehen Kondensstreifen, die ebenfalls eine positive Wärmebilanz aufweisen. Unter dem Strich, so zeigt eine neue Studie im Fachmagazin «Atmospheric Environment», entspricht der Klimaeffekt der ausgestossenen Gase etwa der dreifachen Menge der CO₂-Emissionen. Bezogen auf die Klimawirkung durch die Emissionen der Treibhausgase in der Schweiz, beträgt der Anteil des Flugverkehrs gemäss der neuen Studie etwa 27 Prozent, was ihn zur wichtigsten Quelle macht – noch vor dem Bodenverkehr.

Sollten die Flugtickettaxen den Klimaeffekt widerspiegeln, müssten die geplanten Abgaben so korrigiert werden: Der Preis für einen Langstreckenflug Economy müsste von den geplanten 90 auf 150 Franken aufschlagen, weil dessen Klimawirkung gegenüber einem Kurzstreckenflug (30 Franken) im Durchschnitt fünfmal stärker ist. Wer zudem erste Klasse bucht und damit einen grösseren Platz im Flugzeug beansprucht, müsste gar 450 Franken mehr bezahlen. Der Grund: Die Luxusklasse verursacht umgerechnet eine dreimal stärkere Klimawirkung als Economy und ist 15-mal wirksamer als ein Kurzstreckenflug Economy.

Flugticketabgabe in der Schweiz

in Franken

Plan Bundesrat CO2-GesetzKlimawirksamkeit berücksichtigt
Kurzstreckenflug Economy3030
Langstreckenflug Economy90150
Langstreckenflug Premium Klasse120450
*gemäss Studie ETH Lausanne

«Das wäre nicht fair gegenüber dem Stimmvolk.»

Roger Nordmann, SP-Fraktionschef

Wie reagieren Politiker auf Thalmanns Befunde? Werden sie nach der Volksabstimmung vom 13. Juni – sofern es ein Ja zum Gesetz gibt – auf eine Erhöhung der Flugticketabgabe drängen? SP-Fraktionschef Roger Nordmann winkt ab: «Das wäre nicht fair gegenüber dem Stimmvolk.» Es gelte, zuerst abzuwarten, wie das verschärfte CO₂-Gesetz wirken werde – gerade jene Instrumente, die wie die Flugticketabgabe neu seien. Auf diesen Kompromiss, so Nordmann, hätte sich seine Partei zusammen mit der FDP, der Mitte sowie den Grünen und den Grünliberalen geeinigt.

Auf ewig zementiert soll das Preisgefüge der Flugticketabgabe aber nicht sein. Die Grünliberalen etwa kündigen bereits jetzt an, weiterhin Verbesserungen einzufordern – «hin zur Kostenwahrheit im Klima- und Energiebereich», wie Präsident Jürg Grossen sagt. «Mit dem CO₂-Gesetz wird ein wichtiger Schritt hin zu Nettonull und Kostenwahrheit gemacht, aber sicher nicht der letzte.» Die Grünen ihrerseits fordern in ihrem Klimaplan ab 2023 parallel zum Ausbau des internationalen Bahnverkehrs und der Nachtzüge eine Erhöhung der Flugticketpreise. «Das würde eine höhere Obergrenze für Langstreckenflüge ermöglichen», sagt Präsident Balthasar Glättli.

Gibt es genügend Anreize?

Eine andere Frage ist, ob die Abgabe genügend Anreize schafft, weniger zu fliegen. Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) geht anhand einer früheren Studie des Zentrums E4S davon aus, dass die Passagierzahl um bis zu 20 Prozent und die CO₂-Emissionen um bis zu 11 Prozent sinken würden. Die neuen Simulationen von E4S bestätigen den Lenkungseffekt der Abgabe in dieser Grössenordnung. Für die Autoren wäre sogar eine Reduktion der Emissionen um 16 Prozent plausibel – selbst wenn in den nächsten zehn Jahren die Nachfrage nach Treibstoff wie in den Jahren 2010 bis 2019 stiege, nämlich um durchschnittlich 3,2 Prozent pro Jahr. Die Forschenden gehen jedoch davon aus, dass sich mit der Covid-19-Pandemie ein Umdenken in der Gesellschaft breitmachen könnte: weniger Geschäftsreisen, weniger Ferien im Ausland.

Flugpassagiere in der Schweiz

Ob der Lenkungseffekt im erhofften Ausmass tatsächlich eintreten wird, ist allerdings offen. So sollen die Fluggesellschaften nach den Plänen des Bundesrats die Flugticketabgabe um 20 Prozent senken können, sofern sie ihre CO₂-Emissionen um 8 Prozent mindern – etwa über die Beimischung von synthetischen Flugtreibstoffen (SAF) oder effizientere Flugzeuge. Der Vorschlag ist indes umstritten. Die Swiss hält die finanzielle Entlastung für zu gering, um die entstehenden Mehrkosten auszugleichen, SAF seien drei- bis sechsmal teurer als fossiler. Auch sei es kurzfristig nicht möglich, die benötigten Mengen zu beschaffen, da es von SAF noch nicht genügend gebe.

Einen Beitrag leisten soll auch der Klimafonds, der sich unter anderem aus 49 Prozent der Einnahmen der Flugticketabgabe speist. Mit diesem Geld – der Bund rechnet insgesamt mit gut 0,5 Milliarden Franken pro Jahr – sollen klimafreundliche Investitionen unterstützt werden. Dazu gehören laut Bafu auch Pilotanlagen für synthetische Flugtreibstoffe, damit diese marktfähig werden. Wie viel Geld insgesamt in der Aviatik fliessen wird, ist aber noch unklar.

«Es braucht die gesamten Einnahmen aus der Flugticketabgabe, um den Preis für synthetische Treibstoffe zu senken.»

Anthony Patt, ETH Zürich

Die Swiss kritisiert dies: Sie fordert, dass der Ertrag aus der Flugticketabgabe im Klimafonds vollumfänglich der Luftfahrt zugute kommen soll. Dieser Meinung ist auch Anthony Patt, Professor für Klimapolitik an der ETH Zürich: «Wichtig ist nun, die Nachfrage nach synthetischen Treibstoffen zu sichern. Eine Verteuerung der Flugzeugtickets allein werde dies nicht erreichen. «Die Differenz zwischen dem Preis der fossilen Treibstoffe und der synthetischen ist viel zu gross, um eine politisch akzeptierbare CO₂-Abgabe festzulegen. «Es braucht die gesamten Einnahmen aus der Flugticketabgabe, um den Preis für synthetische Treibstoffe zu senken», sagt Patt.

Der Einsatz von synthetischem Treibstoff scheint derzeit der einzige valable Weg zu sein, den Flugverkehr langfristig CO₂-neutral zu machen. Patt würde die Lösung der EU-Kommission bevorzugen, die möglicherweise bereits in den nächsten Monaten mit einem Vorschlag kommt: Demnach sollen Treibstofflieferanten auf jedem EU-Flughafen sicherstellen, dass 2 Prozent des Kerosins synthetisch hergestellt wird – vorzugsweise auf der Basis von Wasserstoff. Dieser Beitrag soll kontinuierlich erhöht werden, 2030 soll der Anteil bei 5 Prozent liegen. Die Kosten sollen die Fluggesellschaften übernehmen, sprich letztlich die Passagiere. Bei einem Anteil von maximal 5 Prozent an synthetischem Treibstoff würde laut Patt Fliegen bis 2030 nur marginal teurer.

Dennoch ist für den ETH-Professor das CO₂-Gesetz wichtig. Denn mit einem Teil der Gelder des Klimafonds soll auch die Entwicklung synthetischer Treibstoffe vorangetrieben werden. Schweizer Firmen wie Climeworks und Synhelion, Spin-off-Unternehmen der ETH Zürich, sind in dieser Branche tätig. «Mit dem Gesetz können möglicherweise solche Unternehmen auch in Zukunft überleben», sagt Anthony Patt.

Entwicklung Flugpassagiere weltweit

Der Effekt der Lenkung hängt schliesslich davon ab, inwieweit die Flugreisenden die Abgabe umgehen werden. Dafür müssten sie nicht einmal weit fahren: Der binationale Flughafen Basel-Mulhouse liegt auf französischem Boden. Zwar erhebt Frankreich seit 2020 eine Steuer auf Flüge. Mit 1.50 bis 18 Euro ist der Zuschlag im französischen Sektor des Flughafens allerdings deutlich geringer, als er es künftig im Schweizer Sektor wäre. Die Fluggesellschaften könnten so einfach den Sektor wechseln, was eine rein administrative Angelegenheit wäre.

Umweltministerin Simonetta Sommaruga hat angekündigt, mit den französischen Behörden über eine Lösung verhandeln zu wollen. Zwar laufen Gespräche auf Stufe des binationalen Verwaltungsrats, in welchem auch die betroffenen Regionen sowie die nationalen Behörden vertreten sind. Effektive Verhandlungen sind laut Bundesamt für Umwelt aber frühestens denkbar, wenn nach dem 13. Juni klar ist, ob die Flugticketabgabe eingeführt wird. Ob Basel-Mulhouse Hand für eine Lösung bietet, ist indes zweifelhaft, steht der Flughafen doch ebenfalls in einem harten Wettbewerb, auch innerfranzösisch – etwa mit Strassburg oder Lyon.

Das Bafu wagt keine Prognose, ob und wie stark sich Flüge in den französischen Sektor verlagern werden – nicht zuletzt, weil unklar ist, wie sich das jüngst beschlossene Verbot kurzer Inlandflüge in Frankreich auswirken wird. Der Bundesrat will aber die Entwicklung mit einem Monitoring im Auge behalten. Er unterstützt eine entsprechende Motion, die der Ständerat im letzten Winter gutgeheissen hat.

Möglicherweise verpufft die Lenkungswirkung aber auch vollends – zumindest bei den Flügen der Swiss. CEO Dieter Vranckx hat jüngst angekündigt: «Die Marktmechanismen werden es nicht erlauben, die Flugticketabgabe auf die Passagiere zu überwälzen.»