Südanflug NEIN!

Zürich - Schweiz

Südstarts geradeaus
Keine Südstarts geradeaus

«Wir werden eine neue Destination anfliegen», sagt der Konzernchef der Swiss

 

Der Konzernchef der Swiss, Thomas Klühr, ist mit den Leistungswerten der Fluggesellschaft sehr zufrieden. Aber am Himmel ziehen dunkle Wolken auf: Kapazitätsengpässe, die sich noch verschärfen werden.

Werner Enz, Michael von Ledebur
 

Herr Klühr, die Swiss war im ersten Halbjahr stark, auch aufgrund der Flottenerneuerung, die sich nun so richtig auszuzahlen beginnt. Gleichzeitig leiden Sie unter Verspätungen und Kapazitätsengpässen. Wo steht die Swiss?

In der Tat ist es ein zweigeteiltes Bild. Wirtschaftlich läuft es wirklich gut, nicht zuletzt aufgrund der neuen Flugzeuge. Die Einflottung der ersten zehn Boeing-777 ist abgeschlossen, und es sind schon 23 C-Series im Einsatz. Auf der flugbetrieblichen Seite ist die Herausforderung nochmals grösser geworden, unter anderem aufgrund eines überfüllten Luftraums, ausgelöst durch Streiks in Frankreich und Personalengpässe bei der Flugsicherung in Deutschland. Das hat europaweit zu deutlichen Verspätungen geführt, von denen auch wir betroffen sind. Ich sage schon seit Jahren, dass starkes Passagierwachstum auf eine begrenzte Infrastruktur treffen werde, gerade in Zürich, aber auch im übrigen Europa. Durch die gegenwärtigen Effekte wird das deutlicher und rascher spürbar, als ich es erwartet hätte.

Was ist der engste Flaschenhals?

Wir haben überall Flaschenhälse, gerade jetzt im Sommer, in den passagierstärksten Monaten Juli und August. Der Schweizer reist gerne, und es kommen auch viele Menschen gerne in die Schweiz. Aber die Herausforderung ist gross. Dieses Jahr hatten wir besonders viele Tage mit Bise, an denen am Flughafen Zürich bekanntlich die Anzahl Flugbewegungen sinkt und es zu Verspätungen kommt. Es gab auch eine deutliche Zunahme der Gewitterlagen über dem Flughafen. Das Problem haben andere europäische Flughäfen auch, und beides wirkt sich auf uns aus. Es kam mehrfach zu Schliessungen von bis zu einer Stunde, was ungewöhnlich ist. Die europäische Flugsicherung Eurocontrol hat in einem Bericht unlängst klar festgehalten: Wenn die Flugbewegungen so wachsen, wie das alle annehmen, dann reicht die Kapazität nicht.

Wie pünktlich ist die Swiss, gemessen an ihrer eigenen Zielsetzung?

Unser Ziel ist es, mindestens 80% der Flüge pünktlich abzuwickeln, das heisst mit maximal 15 Minuten Verspätung. In den letzten Jahren lagen wir bei 77 bis 78%; zurzeit sind es eher 74 bis 75%. Wir werden unser Ziel dieses Jahr also mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht erreichen. So ergeht es auch anderen europäischen Airlines. Das müsste eigentlich dazu führen, dass man das Problem gemeinsam angeht, aber den grossen Schulterschluss gibt’s bis jetzt noch nicht.

Sind die Behörden gefordert, die Flugsicherung auszubauen?

Ich sehe verschiedene Ebenen. Erst einmal müssen die vielen Streiks aufhören. Schon schwieriger zu lösen sind die Personalengpässe, da es zwei bis drei Jahre dauert, bis Fluglotsen ausgebildet und einsatzfähig sind. Gar keine Bewegung sehe ich in Sachen einheitlicher europäischer Luftraum. Das Projekt steht leider nicht zuoberst auf der Prioritätenliste der EU. Ich bin skeptisch, dass sich daran etwas ändern wird.

«Der Druck muss von Politikern auf Politiker gemacht werden.»

Es gibt Firmen, die sich darauf spezialisieren, Ansprüche von Kunden gegenüber Airlines geltend zu machen. Wie gross ist der Schaden, der Ihnen durch die Verspätungen entsteht?

Wir sprechen von Millionen Franken, die jede Fluggesellschaft durch die Folgen von Streiks verliert. Mit den Verspätungen steigt natürlich das Beschwerdevolumen. Immer wenn es zu Unregelmässigkeiten kommt, macht der Kunde die Fluggesellschaft haftbar, auch wenn wir nicht Auslöser der Verspätung sind. Das kann ich auch nachvollziehen. Allerdings sind die Airlines grundsätzlich nicht zu Ausgleichsleistungen verpflichtet, wenn das Vorkommnis auf aussergewöhnliche Umstände zurückzuführen ist. Dazu zählen unter anderem auch Streiks.

Haben Sie denn eine Handhabe für Rückforderungen, etwa an einen Flughafen oder an eine Flugsicherung?

Nein. Entsprechende Ideen gab es, aber es fehlt die rechtliche Grundlage.

Vergangene Woche kamen überraschende Töne aus Bern. Das Bundesamt für Zivilluftfahrt will die Vergabe von Slots am Abend beschränken. Wie stark trifft das die Swiss?

Kurzfristig trifft es uns nicht, da man den heutigen Status einfriert. Ich habe bis zu einem gewissen Grad Verständnis. In der gegenwärtigen Lage, in der es derart schwierig ist, pünktlich zu fliegen, kann man eine solche Stabilisierungsmassnahme ergreifen. Mittel- und langfristig braucht dieser Flughafen aber Wachstumspotenzial. Es ist elementar, dass auch in Zürich wieder moderates Wachstum möglich ist.

Es gab auch die Forderung des Flughafenschutzverbands nach einem Verbot von Ferienflügen ab 21 Uhr. Was halten Sie davon?

Das ist eine Regulierung, die man nicht über eine Behörde machen sollte. Soll man für 29 Fr. nach Mallorca fliegen können? Das ist eine berechtigte Frage. Die Swiss hat diese Art von Angeboten auch nicht erfunden, sondern muss sich dem Wettbewerb stellen. Ich verstehe die Logik, wonach volkswirtschaftlich wichtige Verbindungen einen höheren Stellenwert haben als der touristische Flug nach Mallorca. Aber am Ende entscheidet der Markt.

Hinsichtlich maximaler Stundenkapazität hat sich am Flughafen Zürich in fünfzehn Jahren sehr wenig bewegt.

Das ist in der Tat ernüchternd. Den wenigsten Leuten ist bewusst, dass der Flughafen bereits einmal 325 000 Flugbewegungen im Jahr abgewickelt hatte, und das mit viel lauteren Fluggeräten. Jetzt sind wir bei 270 000 Flugbewegungen und lärmeffizienteren Flugzeugen. Zugleich haben wir reduzierte Betriebszeiten von 6 Uhr bis 23 Uhr 30, wobei die letzte halbe Stunde für den Verspätungsabbau vorgesehen ist. Der Bundesrat hat in seinem luftfahrtpolitischen Bericht die Bedeutung des Drehkreuzes am Flughafen Zürich für die internationale Anbindung der Schweiz zwar klar betont, aber in der weiteren Umsetzung wurde dies leider abgeschwächt. Das gilt gerade für den massgebenden Sachplan Infrastruktur der Luftfahrt, den SIL. Und dennoch: Könnte man die Massnahmen, welche im SIL 2 aufgeführt sind, nächstes Jahr umsetzen, würde uns das schon enorm helfen. Zudem gewännen wir Zeit, um über weitere sinnvolle Massnahmen zur Erhöhung der Stundenkapazität nachzudenken.

Im SIL ist der Südstart geradeaus bei Bise vorgesehen. Sie wünschten sich dieses Abflugregime unabhängig von der Wetterlage über Mittag.

Das würde ganz klar helfen, aber nicht nur uns. Wenn der Flugbetrieb in der Mittagsspitze pünktlich abgewickelt wird, ist die Wahrscheinlichkeit gross, auch am Abend pünktlich zu sein. Daran müssten eigentlich viele Leute interessiert sein. Ein Ansatz wäre ein Testbetrieb, um zu sehen, ob mit Südstarts geradeaus über Mittag eintrifft, was wir uns erhoffen. Nochmals sieben, acht Jahre zu warten, ist keine Option.

Es müsste doch schmackhaft gemacht werden können, dass der Lärm über die Mittagszeit viel weniger stört als am späten Abend.

Absolut. Was ganz zentral ist: Der Flughafen, wir als Home-Carrier, die anderen Airlines und auch Skyguide müssen am gleichen Strick ziehen. Es ist auch wichtig, dass im Kanton Zürich und in Bern für diese Position geworben wird.

Kann die Entflechtung von Verkehren etwas bringen? Konkret: keine Hobby-Fliegerei und keine Business-Jets mehr am Flughafen Zürich?

Ich mache mir da mit meiner Ansicht keine Freunde. An internationalen Drehscheiben, wie auch dem Flughafen Zürich, sollte meiner Meinung nach keine Business-Fliegerei stattfinden. Wenn wenig Platz am Flughafen vorhanden ist, sollte man die knappen Kapazitäten nicht mit Flugzeugen mit fünfzehn oder weniger Menschen an Bord besetzen.

Die Verhandlungen mit Deutschland sind blockiert. Man hört das Argument, die Swiss als Tochter der Lufthansa sollte eigentlich starke Fürsprecher in Berlin haben.

Ich kann dieses Argument gut nachvollziehen. Natürlich machen wir unseren Einfluss geltend. Auch der Lufthansa-Konzernchef Carsten Spohr bringt das Thema immer wieder auf. Ist der Druck gross genug, um eine Änderung herbeizuführen? Nein. Der Druck muss von Politikern auf Politiker gemacht werden. Wenn man meint, die Lufthansa-Gruppe könne das Problem lösen, überschätzt man die Möglichkeiten eines Unternehmens. Warum das Betriebsreglement 2014 von Deutschland blockiert wird, ist schwer nachvollziehbar.

Wie schätzen Sie die Halbjahresleistung der Swiss ein? Und was erwarten Sie für das Gesamtjahr?

Wir haben ein sehr starkes Halbjahr absolviert. Ein Ebit-Zuwachs von 67% ist sehr erfreulich. Ein Spitzenjahr ist zwar schön, aber viel mehr freue ich mich, dass es uns in den vergangenen drei Jahren gelungen ist, die Ebit-Zielmarge von 8% zu übertreffen. In einem so zyklischen Geschäft wie der Luftfahrt ist das sehr erfreulich. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir dieses Jahr diese Vorgabe deutlich überspringen. Ich gehe von einer zweistelligen Ebit-Marge aus.

Substanz aufbauen für schwierigere Zeiten ist auch nicht verkehrt.

Richtig. Die Wirtschaftsbedingungen sind zurzeit sehr gut, wobei der Erdölpreis in den letzten Monaten stark angezogen hat. Die positiven Hedging-Effekte zur Sicherung eines günstigen Kerosinpreises werden mit der Zeit schwächer werden. Trotzdem werden wir ein solides zweites Halbjahr abliefern.

Und der Standort Genf schafft es auch in die schwarzen Zahlen?

Ja, deutlich in die schwarzen Zahlen. Wir haben uns in Genf als starke Nummer zwei hinter Easy Jet etabliert. Wir werden jetzt dosiert auf Wachstum setzen.

Mit zwei neuen Boeing-777 ist wohl die Hoffnung auf eine neue Destination auf der Langstrecke realistisch?

Eines der beiden Flugzeuge werden wir für die Verdichtung des bestehenden Netzes nutzen. Und ein Flugzeug wird gemäss heutigem Planungsstand Ende 2019 oder Anfang 2020 eine neue Destination anfliegen.

Spannen Sie uns nicht auf die Folter, welche Destination es denn sein wird.

Ich sage es einmal so: Wenn ich meine Netzplaner frage, dann schlagen sie aus Profitabilitätsgründen stets eine nordamerikanische Destination vor. Washington wäre eine Option. Nur sind wir in Nordamerika schon sehr stark präsent. Ich bevorzuge ein breiteres Portfolio. Wenn Amerika einmal schwächelt, spürt man es umso deutlicher. Der Entscheid ist noch offen. Weit oben auf der Prioritätenliste ist zurzeit Seoul.

Die Swiss war Launch-Carrier der Bombardier-Flugzeuge C-Series, die jetzt unter dem Airbus-Label A220 laufen. Wie sieht die Bilanz aus?

Anfänglich gab es enorme Verspätungen, das hat uns alle sehr gefordert. Dieses Jahr sind die Lieferungen nach Plan erfolgt. Wir sind mit der Performance der C-Series sehr zufrieden. Es ist für mich ein Flugzeug der Zukunft, auch was den Treibstoffverbrauch und die Schadstoffemissionen angeht. Aber die Umstellung auf die neuen Flugzeuge war schon ein hartes Stück Arbeit, vor allem aufgrund des grossen Schulungsaufwands in der Technik und beim fliegenden Personal. Die Kundenrückmeldungen sind sehr gut. Dank den grossen Fenstern ist es sehr hell, und es gibt genügend Platz, um das Handgepäck zu verstauen. Last, but not least – auch unsere Piloten sind happy.

«Seoul steht weit oben auf der Prioritätenliste.»

Welches sind die grossen Hebel, um die Wettbewerbsfähigkeit der Swiss zu halten oder gar zu verbessern?

Wir arbeiten an der richtigen Balance innerhalb der Lufthansa-Gruppe, um Synergien zu nutzen. Im kommerziellen Bereich machen wir weiterhin grosse Fortschritte. Aber bei diesem Balanceakt muss die Marke immer geschützt bleiben. Eine gewisse Eigenständigkeit ist sehr wichtig. Die Swiss ist und bleibt die Airline der Schweiz. Die Nutzung von Synergien wird uns weiter beschäftigen. Das gilt auch in der Zusammenarbeit mit Edelweiss. Auch hier ist zentral, dass deren Eigenständigkeit nicht tangiert wird. Zudem arbeiten wir kontinuierlich an unseren Kostenstrukturen.

Zur Markenstrategie. Bleibt Swiss Swiss, wie Sie seinerzeit nach der Übernahme der Konzernführung ankündigten?

Unbedingt. Es dürfte für die Bombardier-Kollegen emotional sehr schwierig sein, dass aus der C-Series so rasch die A220 geworden ist. Lufthansa hat da sehr clever agiert. Swiss bleibt Swiss. Nicht nur bezüglich der Marke, sondern auch im Sinne des Auftrages, dass wir der Home-Carrier der Schweiz sind. Unsere Aufgabe, die Schweiz mit der Welt zu verbinden, bleibt unangetastet.

Früher gab es die Luftfahrtstiftung, um den Swiss-Brand abzusichern. Lebt dieser Geist fort?

Institutionalisiert ist es nicht. Es ist aber mittlerweile eine Grundüberzeugung, im Konzernvorstand und im Aufsichtsrat der Lufthansa-Gruppe. Man hat ja auch den Erfolg der Swiss in den vergangenen Jahren gesehen. Daher kommt umgekehrt oft die Frage auf, was das Erfolgsgeheimnis der Swiss ist und was sich davon auf die Gruppe übertragen lässt.